Der stumme Tod
nächste Nummer wählte. Weinert war schon im Mantel, aber noch zu Hause. Wenigstens ging er diesmal selbst an den Apparat.
»Fasse dich kurz«, meinte der Journalist, »beim Tageblatt wartet man schon sehnsüchtig auf mich. Die Krise der großen Koalition will analysiert werden.«
»Meinst du, du könntest der Redaktion heute noch eine zweite Geschichte verkaufen?«
»Sag bloß, du willst mir jetzt schon grünes Licht für die Wintergeschichte geben.«
»Ja. Nur mit einer Einschränkung: Es wäre gut, wenn mein Name nicht allzu oft fällt. Am besten gar nicht, ich bin mit dem Fall nämlich nicht mehr betraut.«
»Ein paar Namen muss ich schon nennen. Ein paar Gewährsmänner aus dem Polizeiapparat. Wenigstens einen.« »Die Ermittlungen leitet Oberkommissar Böhm.« »Der sagt doch nichts. »
»Dann kann ich dir eine Privatnummer geben. Der Kollege ist gerade krank. Gehört aber normalerweise zu Böhms Truppe.« »Kennt der sich denn aus? Wenn er krank ist?«
»Du kennst die Fakten doch schon alle. Frag ihn entsprechend, dann wird er schon antworten. Ich muss dir doch nicht sagen, wie du arbeiten sollst.«
»Dann gib mir die Nummer, ich werd's mal probieren. Apropos:
Ich habe ein Treffen für dich arrangiert. Mit Heyer.« »Mit wem?«
»Willi Heyer. Der Drehbuchautor. Morgen gegen eins im Romanischen Cafe.«
»Bei den Möchtegernberühmten?« »Ich werde auch da sein.«
»Schon gut, wollte dir nicht zu nahe treten.«
»Hast ja recht. Im Romanischen gibt es die mit Abstand höchste Dichte erfolgloser Schriftsteller im ganzen Land. Aber auch ein paar erfolgreiche.«
Es klopfte, und Erika Voss steckte ihren blonden Schopf durch die Tür.
»Was ist denn?«, fragte Rath ungehalten und hielt die Sprechmuschel zu. »Schon zurück vom ED? Ich will nicht gestört werden!«
»Es ist aber dringend, Herr Kommissar.« Erika Voss war es sichtlich unangenehm, ihn stören zu müssen. »Oberkommissar Böhm! Er kann Sie jetzt sprechen. Hat aber nicht viel Zeit, sagt er. Sie sollen sich beeilen.«
Gräf und Lange drückten sich in Böhms Büro herum, als Rath eintraf. Der Oberkommissar saß hinter dem Schreibtisch und schaute nicht einmal von der Akte auf, die er gerade studierte.
»Sie wollten mich sprechen?«, sagte er.
»Jawohl, Herr Oberkommissar.« Rath druckste herum. »Eigentlich dachte ich, wir könnten unter vier Augen ... «
»Ich habe keine Geheimnisse vor meinen Mitarbeitern. Und außerdem nicht viel Zeit. Worum geht's?«
»Ich wollte mich entschuldigen, Herr Oberkommissar.«
Die Worte kamen ihm denkbar schwer über die Lippen. Rath spürte, wie sich sein ganzer Körper dagegen sträubte, sie auszusprechen. Aber da musste er jetzt durch, Weiß und Gennat hatten beide seine Entschuldigung bei Böhm gefordert. Das war ein Befehl. Einer von denen, die man nicht missachten konnte.
Böhm blieb ungerührt. Er hatte den Kommissar noch immer nicht angeschaut.
Gräf ging zur Tür und schielte kurz zu seinem alten Chef hinüber, dessen Canossagang mitzuerleben ihm offensichtlich unangenehm war. Rath nutzte die Gelegenheit, seinem Kriminalsekretär mit Daumen und kleinem Finger zu verstehen zu geben, sie müssten mal telefonieren.
»Wo wollen Sie hin?«, bellte Böhms Stimme durch den Raum. Gräf zuckte zusammen. »Nun, ich dachte ... «
»Denken Sie nicht, tun Sie Ihre Arbeit.«
»Jawohl", Gräf kuschte und ging zurück zu der Landkarte, auf der er und Lange mit Hilfe eines Zirkels bestimmte Gebiete einkreisten und unterschiedlich schraffierten. Rath erkannte den Grunewald. Die Voss hatte recht gehabt: Offensichtlich suchten sie Krempin nun im Südwesten. Das hieß, sie hatten ihn noch immer nicht gefunden.
»Haben Sie mir noch etwas zu sagen, Herr Kommissar?«, fragte Böhm. »Oder war's das schon?«
»Nun ja, ich entschuldige mich dafür, dass ich mich einem Reporter gegenüber missverständlich ausgedrückt habe, sodass der Eindruck entstanden ist, als würde ich Herrn Oberkommissar ... «
»Ist das noch Deutsch, was Sie da reden? Verschachteln Sie Ihre Sätze man nicht so dolle, dass Sie hinterher nicht wieder rausfinden.«
Zum ersten Mal hatte Böhm ihn angeschaut.
Rath versuchte aus dem Gesicht schlau zu werden, doch der dicke Schnurrbart ließ das nicht zu. Würde Böhm einlenken? Ihn womöglich in die Ermittlungsgruppe zurückholen?
»Was macht denn die Akte Wessel? Ist Ihr eigener Bericht schon fertig? Der von der Beisetzung?«
Böhm wusste Bescheid! Gräf hatte es ihm wahrscheinlich nicht
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