Der Stundenzaehler
die wissen wollte, wann er nach Hause kam. Sie machte Essen.
Er seufzte.
»Ich weià nicht, ob ich dieses Zeug essen kann, Grace.«
»Komm doch erst mal heim, dann sehen wir weiter.«
»Okay.«
»Stimmt etwas nicht?«
Victor schaute auf die Taschenuhr und musste unwillkürlich an seine Eltern denken. Er sah ihre Gesichter vor sich, zum ersten Mal seit vielen Jahren. Das machte ihn wütend.
Er musste sich beherrschen.
»Ich werde mit der Dialyse aufhören, Grace.«
»Was?«
»Sie ist sinnlos.«
»Das kannst du nicht machen, Victor â¦Â«
Grace verstummte. Dann sagte sie: »Wenn du das tust â¦Â«
»Ich weiÃ.«
»Warum?« Ihre Stimme klang zittrig, und er merkte, dass sie weinte.
»Das ist doch kein Leben. Ich bin von einer verfluchten Maschine abhängig. Du weiÃt ja, was die Ãrzte gesagt haben.«
Er hörte, wie Grace tief einatmete.
»Grace?«
»Komm erst einmal nach Hause, dann können wir darüber sprechen, ja?«
»Meine Entscheidung ist gefallen.«
»Wir können doch darüber reden.«
»Okay, aber ich will nicht darüber diskutieren .«
Victor hätte diesen Satz lieber im Zusammenhang mit seinem anderen Plan â dem Einfrieren für ein neues Leben â benutzt. Doch er wusste, dass Grace sich darauf erst recht nicht einlassen würde. Deshalb brachte er ihn jetzt zum Einsatz.
»Ich will nicht diskutieren«, flüsterte sie. »Komm einfach nach Hause.«
53
Nun stand es fest: Sarah würde Ethan an Heiligabend treffen.
Im Dunkinâ Donuts, weil sie wusste, dass dort auf jeden Fall geöffnet war. Die Verabredung hatte sich durch Zufall ergeben â aus Sarahs Sicht war es allerdings eher schicksalhafte Fügung.
Per SMS hatte sie Ethan nicht erreichen können. Doch als sie aus dem Uhrenladen kam, war Sarah an einer Gruppe von Leuten vorbeigegangen, die sich auf den Weltuntergang vorbereiteten. Und da sie bei allem Möglichen dachte, dass sie sich darüber unbedingt mit Ethan unterhalten wollte, hatte sie ihn spontan angerufen, obwohl er sich eigentlich nie meldete.
Als sie plötzlich seine Stimme hörte, verschlug es ihr fast die Sprache.
Doch dann platzte sie heraus: »Du kannst dir nicht vorstellen, was ich hier grade sehe.«
»Wer ist denn da?«
»Sarah.«
Schweigen. »Hey, Sarah, ich dachte, ich hätte ⦠dieses Handy ist ein einziges Chaos.«
»Rate mal, von wo ich anrufe.«
»Keine Ahnung.«
»Vom Weltuntergangstreffen im Washington Square Park.«
»Das ist doch Irrsinn.«
»Weià ich. Aber die behaupten, dass nächste Woche die Welt untergeht, und ich hab hier was, das ich dir geben möchte, also sollte ich das wohl lieber vorher machen.«
»Warte mal. Was soll das jetzt mit dem Weltuntergang?«
»Keine Ahnung, das ist was Indianisches oder Religiöses oder so. Irgend so was Abgedrehtes.«
Sarah wusste mehr darüber, wollte sich das aber nicht anmerken lassen. Es hatte ihr bei Jungen schlieÃlich nie etwas genützt, intelligent zu sein.
»Wann können wir uns treffen? Ich möchte dir dieses Geschenk unbedingt geben.«
»Du musst mir nichts schenken, Sarah.«
»Es ist nichts GroÃes. Und schlieÃlich ist bald Weihnachten, oder?«
»Ja. Ich weià nicht â¦Â«
Ein Schweigen trat ein, und Sarah wurde die Kehle eng.
»Es wird auch nicht lange dauern«, fügte sie rasch hinzu.
»Na gut.«
»Kann ja sowieso nicht lange dauern, wenn die Welt untergeht, oder?«
»Schon klar.« Er klang ziemlich gleichgültig.
Sie einigten sich auf Dunkinâ Donuts an Heiligabend, weil Ethan danach in der Nähe zu einer Party gehen wollte. Als Sarah auflegte, war sie froh, dass sie an diesem Abend etwas vorhatte. Sie versuchte Ethans desinteressiertem Tonfall keine Bedeutung beizumessen und sagte sich, dass man Stimmen am Telefon immer schlecht einschätzen konnte. AuÃerdem würde er bestimmt glücklich sein, wenn er die Uhr sah. So ein tolles Geschenk bekam er sicher von niemandem.
Sarah dachte wieder daran, wie Ethan sie geküsst hatte. Er wollte mit ihr zusammen sein.
Jemand wollte mit ihr zusammen sein .
Beim nächsten Treffen, sagte sie sich, wollte sie lockerer sein, was das Körperliche anging. Ihm mehr erlauben. Das würde ihm bestimmt gefallen. Und sie fand es schön, sich vorzustellen, dass sie ihm
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