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Der Stundenzaehler

Der Stundenzaehler

Titel: Der Stundenzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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berühren. Nichts. Als er nach den Blumen in den weißen Fächern griff, konnte er kein einziges Blütenblatt bewegen.
    Das alles ergab keinerlei Sinn .
    Sein Körper?
    Dieses Mädchen?
    Sein perfekter Plan?
    Victor sank zu Boden, lehnte sich an einen der Behälter, ohne ihn im Rücken fühlen zu können.
    Â»In diesen Dingern sind Menschen ?«, fragte das Mädchen.
    Â»Ja.«
    Â»Und Sie wollten sich auch einfrieren lassen?«
    Victor wandte den Blick ab.
    Das Mädchen setzte sich auch auf den Boden, ein Stück entfernt von ihm.
    Â»Großer Gott …«, flüsterte sie. »Warum?«

67
    Victor hatte selten mit fremden Menschen über sein Leben gesprochen.
    Interviews hatte er fast immer abgelehnt, weil er der festen Überzeugung war, dass man im Wirtschaftsleben nur Erfolg hat, wenn man Geheimnisse bewahrt. Sobald Informationen durchsickern, hat die Konkurrenz womöglich die Nase vorn.
    Die Schnellen und die Toten … Das war ein Witz über die Existenzformen in der Hochfinanz. Es gibt nur zwei Arten: die Schnellen und die Toten.
    Nun war Victor Delamonte weder das eine noch das andere.
    Diese Szene in der Kryonik-Firma musste entweder die Hölle oder aber eine Halluzination sein.
    So oder so konnte Victor hier mit Geheimnissen nichts mehr anfangen. Deshalb offenbarte er einem Mädchen in Jogginghosen auch, was er bislang niemandem außer Eingeweihten anvertraut hatte: Victor erzählte von seiner Krebserkrankung, von der Niereninsuffizienz, der Dialyse und seinem Plan, den Tod auszutricksen durch ein zweites Leben in ferner Zukunft.
    Er erzählte dem Mädchen, dass er seinem Plan zufolge nicht mehr hier in diesem Lagerhaus herumsitzen, sondern erst in vielen Jahren wieder erwachen sollte, als lebendes medizinisches Wunder. Nicht als irgendein Geist.
    Das Mädchen hörte aufmerksam zu und nickte sogar bei einigen medizinischen Details, was ihn erstaunte. Sie schien intelligenter zu sein, als sie wirkte – vom äußeren Eindruck her sah sie aus, als hätte sie auf einer Parkbank übernachtet. Victor behielt jedoch für sich, dass er in wenigen Sekunden in dem anderen Raum in Eis gelegt werden sollte. Diese Information fand er zu extrem.
    Zwischendrin erkundigte sich das Mädchen, was denn seine Frau von seinem Plan hielt.
    Victor zögerte.
    Â»Oh«, sagte das Mädchen. »Sie haben es ihr gar nicht gesagt.«
    Die Kleine war wirklich schlauer, als sie aussah.

68
    Früher hatte Sarah mit ihren Eltern geredet.
    Daran musste sie denken, als sie Victor zuhörte.
    Als Kind hatte sie bei ihren Eltern im Schlafzimmer gesessen, mit den Fransen eines Dekokissens gespielt und Fragen nach der Schule beantwortet. Sie war eine Einser-Schülerin, besonders begabt in Mathe und Bio, und ihr Vater Tom, von Beruf Laborant, hatte vor dem Spiegel gestanden, sich durch das schüttere blonde Haar gestrichen und sie ermutigt, so weiterzumachen; wenn sie Ärztin werden wollte, hatte er immer gepredigt, seien gute Schulleistungen die Voraussetzung.
    Lorraine, die in der Werbeabteilung eines Radiosenders arbeitete, lehnte sich im Bett zurück, zog an ihrer Zigarette und sagte: »Ich bin stolz auf dich, mein Schatz. Holst du mir einen Eisriegel, ja?«
    Â»Du brauchst nicht noch einen Eisriegel«, sagte Tom dann.
    Die Eltern ließen sich scheiden, als Sarah zwölf war.
    Lorraine bekam das Haus, die Möbel, so viele Eisriegel, wie sie wollte, und das alleinige Erziehungsrecht.
    Tom bekam eine Haartransplantation, ein Boot und eine junge Freundin namens Melissa, die keinerlei Interesse daran hatte, ihre Zeit mit dem Kind einer anderen Frau zu verbringen.
    Die beiden heirateten und zogen nach Ohio.
    Nach außen hin stellte sich Sarah auf die Seite ihrer Mutter und behauptete, sie sei froh, bei dem funktionierenden Elternteil bleiben zu können, das sein Leben nicht vermasselt hätte.
    Aber wie viele Kinder vermisste sie das fehlende Elternteil insgeheim und fragte sich, ob sie Schuld an der Trennung trug.
    Je seltener ihr Vater anrief, desto mehr sehnte Sarah sich nach ihm; je häufiger ihre Mutter sie umarmte, desto mehr lehnte Sarah diese Form von Nähe ab. Sie sah aus wie ihre Mutter und hatte eine ähnliche Stimme wie ihre Mutter.
    Und in der achten Klasse begann sie sich wie ihre Mutter zu fühlen – ungeliebt und vielleicht auch nicht liebenswert.
    Sarah aß zu viel und wurde immer dicker.
    Und sie

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