Der Sturm
Deutscher. Er hat ein ziemlich kluges Buch geschrieben, über die Unvorhersehbarkeit von Finanzkrisen. Ich schenke das Buch manchmal einem Kunden. Hin und wieder haben wir ja einen, der noch lesen kann. Damit er weiß, was auf ihn zukommt. Nachher will ich noch etwas essen gehen.«
»Nein, geh du mal. Wir räumen hier erst einmal auf. Das wird eine Weile dauern. Wie war denn die Inneneinrichterin?«
»Sie hat mir erklärt, dass nichts so teuer ist wie das Nichts.« Dann drehte sich Richard noch einmal um:
»Sally – von wegen deutsch. Hat sich eigentlich der Journalist noch einmal gemeldet, der vor zehn Tagen hier war? Der das lange Interview mit mir gemacht hat? Er wollte eigentlich noch einmal kommen.«
»Er hieß Christian, nicht wahr? Nein, keine Anrufe, keine Mails.«
»Das war vielleicht ein aufdringlicher Kerl«, warf Johan ein, »ich habe mich gewundert, warum du den hereingelassen hast. Mein ganzes Leben sollte ich ihm erzählen, wie das in Schweden war, bei der Pirate Bay, warum dort BitTorrents nicht verfolgt wurden, wie man Peer-to-peer-Netzwerke in Schweden aufbaut und was Staat und Gesellschaft dazu sagen, alles. Und wie das mit den Servern von Wikileaks in Stockholm war.«
»Und?«, Richard schaute irritiert auf. »Du hast ihm doch wohl nichts gesagt?«
»Doch, warum denn nicht? Oder kann Wikileaks etwas zu verbergen haben?« Johan lachte.
»Das war vielleicht nicht so klug. Ach, Scheiße.« Richard verließ den Raum mit schnellen Schritten, während Johan ihm verblüfft nachschaute.
Sieben
Ronny Gustavsson hatte sich auf seinem Sofa eingerichtet, eine Dose Leichtbier von Pripps geöffnet und »Pat Garrett and Billy the Kid« aufgelegt. Ronny mochte diese Schallplatte von Bob Dylan sehr, nicht nur wegen des Lieds »Knockin’ On Heaven’s Door«, das alle mögen. Bob Dylan, fand Ronny, hatte sich in den instrumentellen Stücken gleichsam das Hemd aufgerissen, und dahinter war nichts zu sehen als eine schmale Brust und ein Verlangen nach ein paar harmonischen Akkorden. Nichts würde mehr geschehen heute Abend, dachte er weiter, und es ist ja auch schon genug geschehen. Aber er täuschte sich: Das Altersheim rief an.
»Ronny, deine Mutter«, sagte eine Stimme, die er nicht kannte, »Ronny, ich konnte dich nicht erreichen: Deine Mutter ist heute Nachmittag aus dem Fenster gefallen.«
»Wie?«, fragte Ronny erschrocken. Die Nachricht riss ihn mit Gewalt aus seinen abendlichen Träumereien und gellte in seine Ohren.
»Nein, keine Sorge. Es ist nichts Ernstes passiert. Sie wohnt ja im Erdgeschoss. Sie ist nur in die Rabatten gefallen. Aber sie hat sich vermutlich die Hand gebrochen, und es ist die rechte.«
Ronny war erleichtert: »Was hat sie denn dieses Mal gemacht?«
»Ich glaube, sie wollte das Fenster von außen putzen und ist deswegen auf die Fensterbank geklettert.«
Ronny musste lachen: »Das sieht ihr ähnlich.« Er konnte sich die Szene lebhaft vorstellen. Seine Mutter war jetzt weit über achtzig. Aber sie hatte keinen Sinn für ihr Alter. Sie konnte wie eine junge Frau sein, übermütig und fast kindlich nicht nur in ihren Bewegungen, sondern auch in ihrer Neugier. Eine ganze Reihe von solchen Unfällen hatte sich in den vergangenen Jahren ereignet. Einen Unterschenkel und einen Arm hatte sie sich allein in den letzten beiden Jahren gebrochen, und vorher war noch mehr passiert: Einmal hatte sie, nachdem ihr endlich der Gips um einen gebrochenen Ellbogen abgenommen worden war, einen Freudentanz auf neuen Pumps aufgeführt, der in einem Bänderriss am Fußgelenk endete. Manchmal waren ihre Gliedmaßen voller blauer Flecken. Ronny fürchtete immer, dass es bald zu einem Unfall kommen könnte, der nicht so glimpflich ablief.
»Liegt sie im Krankenhaus? In Kristianstad?«
Es war zu spät, um noch hinzufahren. Ronny rief statt dessen an. Es dauerte nicht lange, bis er seine Mutter am Apparat hatte. Sie war in guter Verfassung, hatte im Krankenhaus gleich alte Bekannte getroffen, lachte über die Eitelkeit, das eigene Alter nicht hinnehmen zu können, und über den Übermut, der sie auf das Fensterbrett hatte klettern lassen: »Der Frühling«, sagte sie, »der Frühling.« Sie machte sich Sorgen um den Sohn und dessen Arbeit, plapperte heiter vor sich hin. Sie war selbst einmal Krankenschwester gewesen. Von Osby aus war sie herumgefahren, in einem Renault 4 – Ronny konnte sich gut an diese orangefarbene Kiste und ihr Schaukeln erinnnern –, und hatte, ambulant, die
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