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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Johansson
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zweimal angerufen hatte, hatte er seinen Artikel über den jungen Mann geschickt, der am großen Stuhl von Älmhult gehangen hatte. Und dann waren auch keine Beschwerden mehr von der Redaktion gekommen. Es hatte sich überhaupt niemand mehr gemeldet – bis auf die junge Kollegin, die, völlig durchnässt, am Fuß des Denkmals gestanden, über den Selbstmord als Rache spekuliert und so hässlich gelacht hatte. Sie hatte angerufen, weil die Polizisten in Älmhult doch ein wenig geredet hatten, sie aber nicht alles davon verstanden hatte. Der Polizist am Telefon hatte recht behalten: Älmhult war eine kleine Stadt, und früher oder später kam alles heraus.
    »Hör mal, Ronny«, sagte sie am Telefon, in einem einschmeichelnden Ton, »du bist doch ein gebildeter Mensch. Weißt du, ob irgendwo etwas steht von einem bösen Geist oder so? Wo der Satz vorkommt, dass einer sich wundert, dass alle weiterleben?«
    »Nein, so nicht. Aber warum fragst du?«
    »Weil der Selbstmörder ein Blatt Papier in der Jackentasche gehabt hat, auf das er etwas geschrieben hatte. Die Polizisten haben das Blatt zuerst für eine Art Abschiedsbrief gehalten. Ist es aber vielleicht nicht. Jedenfalls ist es nicht mehr lesbar. Im Regen ist alles verlaufen, total, nur eben nicht die letzten Wörter. Und das waren diese.«
    »Weißt du, wer er war?«
    »Wer?«
    »Der junge Mann natürlich, der, der am Stuhl hing.«
    »Ein Abiturient von der Internationalen Schule.« Ronny dachte, dass Katarina, Benigna Klints Tochter, ihn gekannt haben müsste, weil sie doch auf dasselbe Gymnasium ging.
    »Sag mal, wie lautete der Satz auf dem Zettel?«
    »Dass einer sich wundert, dass alle am Leben bleiben.«
    »Warte …, warte …« Ronny brauchte eine Minute, er tippte etwas in den Computer, dann sagte er bestimmt: »Das ist aus Dostojewskij, aus den ›Bösen Geistern‹, einem russischen Roman aus dem späten neunzehnten Jahrhundert. Manchmal heißt er auch ›Die Dämonen‹. Es ist Kirillow, der da spricht, das ist in diesem Buch ein Ingenieur und Verschwörer, der den Selbstmord predigt und sich dann tatsächlich erschießt. Richtig heißt das Zitat: ›Habe mich immer gewundert, dass alle weiterleben.‹«
    Die junge Frau war völlig verblüfft. »Puh, wie hast du das so schnell gefunden?«
    »Auf Englisch. Über Google. Seltsam, dass es jetzt alle mit Dostojewskij haben.«
    »Was denn? Wer denn noch?«
    »Ach, egal.«
    »Hast du etwas dagegen, wenn ich das mit dem Dossojewskij noch in meinen Artikel einbaue?«
    »Nein, nur zu. Dostojewskij heißt der Mann. Mit »t«. Fjodor mit Vornamen. Bildung ist immer gratis. Aber sag mir, wenn du etwas Neues weißt.«
    Ronny hatte jetzt nur noch ein paar Minuten, um in den Supermarkt hinüberzulaufen und sich etwas zu essen zu kaufen: eine Packung tiefgekühlter Fleischbällchen, ein Glas Essiggurken, ein weißes Brot, ein paar Dosen »lättöl«, dasselbe wässrige Bier, das er sich fast immer holte, wenn er allein war und nicht wusste, was er kochen sollte, und das war meistens so. Als er, wieder zu Hause, das Brot aufgeschnitten, die Dose mit den Gurken geöffnet und die eiskalten Fleischbällchen in eine heiße Pfanne geworfen hatte, klingelte schon wieder das Telefon.
    »Ronny, es ist etwas Schlimmes passiert.« Benignas Stimme war kaum zu erkennen. »Magnus, der Freund von Katarina, hat sich umgebracht. Du musst herkommen. Bitte, Ronny!«
    Ronny erinnerte sich sofort an den schmalen, gutaussehenden, aber ein wenig schüchternen jungen Mann, den er kurz in Benignas Haus getroffen hatte. Hatte er ihn nicht auf Anhieb gemocht? Er war tief erschrocken.
    »Er war das in Älmhult? Der sich am großen Stuhl erhängt hat?«
    »Keiner weiß etwas. Mit Katarina ist nicht zu reden, sie heult nur noch, sagt lauter wirres Zeug, über Computer und so, und immer wieder: Wenn er sich umbringen wollte, das hätte er ihr doch bestimmt gesagt. Manchmal schreit sie herum, dass es ein anderer gewesen ist, wir sollten den Mörder suchen. Es sind ein paar Freundinnen von ihr hier, aber sie sind in derselben Verfassung.«
    »Sollte heute Abend nicht euer Fest stattfinden?«
    »Das haben wir abgesagt. Sofort. Es steht aber alles noch herum. Es ist furchtbar.«
    »Ja.«
    »Kommst du? Bitte.«
    »Ja, klar, bin unterwegs.«
    Ronny stopfte sich schnell zwei Fleischbällchen in den Mund. Sie waren außen heiß und innen noch gefroren. Dann setzte er sich in den Toyota und fuhr nach Südosten. Es war noch hell. Die Nächte waren sehr kurz

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