Der Sturm
Motorrad mit hoher Geschwindigkeit entgegen, eine Harley Davidson. Einen Augenblick hätte er gerne gewusst, wer der Fahrer war. »Du kannst nichts tun«, dachte er dann, »du kannst nichts tun.« Das Motorrad bog mit einem Aufbrüllen des Motors in die Auffahrt ein, aus der Ronny gerade gekommen war. Er drehte sich um, sah dann in den Rückspiegel. Er hatte ein mulmiges Gefühl: Sollte er doch zurückkehren? Er tat es nicht.
Siebenundzwanzig
Richard Grenier saß in der Lobby des Restaurants »The Perfect Lagom« in der 72 nd Street, nicht weit vom Broadway. Vor ein paar Wochen erst war dieses Lokal von der »New York Times« zum besten skandinavischen Restaurant der Stadt erklärt worden. Richard Grenier schaute sich um. »Das ist doch völliger Blödsinn«, murmelte er, »zum ersten Mal in meinem Leben kann ich alle Möbel in einem Raum beim Namen nennen, das ist doch kindisch.« Tatsächlich saß er in einem großen, fast halbkugelförmigen Sessel von Arne Jacobsen, der »das Ei« heißt, und gegenüber stand sein kleiner, vielfach geschwungener Bruder, den man den »Schwan« nennt. Die Anrichte neben ihm war von Asplund und trug den Namen »Snow«. Von der Decke hingen die » PH «-Leuchten von Poul Henningsen.
Johan, der Assistent, kam herein. Richard Grenier winkte ihn zu sich. »Ich bin zu früh«, sagte er, »ich hatte hier in der Gegend zu tun. Und – happy birthday.« Johan lachte.
»Bist du wieder mit dem Rad gekommen?«
»Nein, das ist mir zu gefährlich, in der Nacht. Du siehst übrigens gut aus in deinem Ei. Irgendwie geschützt, oder behütet.«
»Hör mal«, sagte Richard, »mit was für einem Schwachsinn ich mich neuerdings beschäftige: Das Besondere beim skandinavischen Design besteht darin, dass es darin nur um wenige Objekte geht. Sie kehren überall wieder, so dass – und es dauert gar nicht lange – schon bei ihrem Anblick ein Gefühl von Heimat entsteht. Auch wenn man sehr wenig mit den skandinavischen Ländern zu tun hat und auch wenn man gar nicht aus dieser Gegend stammt. Aber diese Möbel, was bedeuten sie? Sie sind nicht alt, nicht neu, nur irgendwie … menschlich?«
»Du hast deiner Inneneinrichterin zu lange zugehört«, antwortete der Assistent, »bei uns zu Hause hat jeder solche Sachen. Weil jeder sie für praktisch hält und weil wir es nicht mögen, wenn einer aus der Reihe tanzt. Was du da sagst, ist viel zu philosophisch. Übrigens: Hast du den Asgar Jorn gekauft?«
»Ja.«
»Ich frage besser nicht, ob du mehr als eine halbe Million dafür ausgegeben hast.«
»Nein.«
Richard wechselte das Thema: »Und, wie ist es, jetzt zu den Alten zu gehören? In Amerika ist das so, wenn einer dreißig Jahre alt wird, glauben die Leute, er gehöre schon halb zu den Toten. Vor allem glaubt man das selber.«
»Und wie alt bis du?«
»42.«
»Siehst du?«
»Siehst du was?«
»Ich habe mich, soweit ich mich erinnern kann, jedes Jahr auf meinen Geburtstag gefreut. Du musst das einmal in Schweden erleben, wenn der Frühling wirklich da ist. Ganz Schweden wacht auf, und alle sind jung. Dann ist gleich Mittsommar, und das ist ein Fest, viel wichtiger als Weihnachten. Die Jungen und die Alten setzen sich Blumenkränze auf den Kopf und tanzen um eine Stange herum. Das machen die Menschen tatsächlich, sehr heiter und in vollem Ernst. Obwohl es für einen Ausländer natürlich unglaublich kindisch aussieht. Und jetzt also, ich bin dreißig, aber ich fühle mich nicht alt. Jetzt kommt der Sommer.«
Nun lachte Richard. Johans Freundin Julie war gekommen und auch die anderen Angestellten von »The Cloud Matters«. Fast alle hatten jemanden mitgebracht, so dass am Ende gut dreißig Menschen beieinander waren. Sogar George und Larry, die beiden Nerds mit ihren großen Bärten, hatten Freundinnen, stellte Richard verblüfft fest. Nur Dick, der pummelige, geniale, autistische Techniker war allein gekommen. Zusammen ging man an einen langen Tisch am hinteren Ende des Restaurants. Es gab marinierten Hering mit Schwarzbrot und Schnittlauch, kalt geräucherten Lachs mit Frühkartoffeln und Limonen-Crème-Fraîche, Kalbsfilet mit Morcheln und Erbsenpüree. Und bevor der Nachtisch serviert wurde, hielt Richard eine kleine Rede, in der er sich bei allen Mitarbeitern, vor allem aber bei Johan bedankte. Dies sei das beste Halbjahr in der Geschichte der Firma gewesen, sagte er, und er freue sich, bekanntgeben zu können, dass nun auch die American National Bank die Sicherheit ihrer gesamten
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