Der Sturm
die zu Benignas Anwesen hinaufführte, hatte es mindestens zwanzig der großen Linden umgerissen. Sie lagen kreuz und quer, über dem Weg, übereinander. Die Wurzelballen ragten in die Luft.
»Da drüben, Ronny, da drüben.«
Jenseits der Allee, über den Wiesen, die sie säumten, hatte am Tag zuvor noch ein hoher Fichtenwald gelegen. Es gab ihn nicht mehr. Ein wüster Verhau von gebrochenen, gefallenen, geknickten, gebogenen, geborstenen Stämmen war davon übrig geblieben, ein gigantisches Mikado aus den Trümmern alter Bäume.
»Mein Gott«, sagte Ronny, »die Welt ist untergegangen.«
»Ja. Im Radio sagen sie, dass es von Hässleholm bis nach Växjö so aussieht, über mehr als hundert Kilometer. Verwüstetes Land. Und von Örkeljunga bis nach Gnosjö. Auf den großen Straßen wird jetzt das Militär eingesetzt. Es hat auch Tote gegeben, aber nicht viele, hauptsächlich Autofahrer, soweit man weiß. Aber einige Dörfer sind ganz von der Außenwelt abgeschnitten. Wenigstens funktionieren die Mobiltelefone jetzt wieder. Katarina habe ich erreicht. Sie bleibt erst einmal in Älmhult, bis sich alles ein wenig beruhigt hat. Bei Wille aber ist nach wie vor nichts. Vielleicht nimmt er nicht ab. Oder es gibt keine Verbindung.«
Die beiden schauten immer noch auf die zerstörte Landschaft vor dem Fenster. »Ich meine, ich muss nicht vom Wald leben«, sagte Benigna leise. »Aber was machen diese Bauern jetzt?«
Benigna goss Kaffee auf, und schenkte dann Ronny und sich selber je einen Becher ein.
»Schneidest du das Brot auf?«
Ronny schaute seine Freundin lange an. Sie bemerkte es und legte ihm den Arm um den Nacken.
»Ronny, es war schön heute Nacht. Aber wir werden kein Paar. Es gibt Wichtigeres zu tun im Leben, vor allem heute.«
Ronny hatte einen Kloß im Hals. Er nickte.
Achtunddreißig
Ronny Gustavsson nahm den Hammer und die Nägel. Zunächst wurde die sehr provisorische Konstruktion, mit der die beiden am Abend zuvor das Fenster des Esszimmers von innen abgedichtet hatten, durch eine stabile Verbretterung von außen ersetzt. Dann befreite Ronny, soweit er es mit Benignas altem roten Volvo-Traktor und den eigenen Kräften vermochte, den Vorplatz des Hofes und das obere Ende der Allee von heruntergebrochenen Ästen. Ein paar große Stämme zog er mit einer Kette beseite, die er an der Anhängerkupplung des Traktors befestigt hatte.
Benigna telefonierte, bis sie mit jedem Nachbarn gesprochen hatte. Wilhelm von Sthen meldete sich nach wie vor nicht. Zwischendurch lud sie immer wieder das Telefon im Auto auf. Einige der Nachbarn hatten keine Holzherde und also gar keine Heizung mehr. Ein Generator sollte wandern, auch um zu retten, was in den Kühltruhen war. Es wurde ein gemeinsames Abendessen für alle bei Benigna verabredet. Und schließlich, am frühen Nachmittag, war am unteren Ende der Allee auch Kjell, der nächste Nachbar, mit seinem riesenhaften gelben Frontlader, einem Volvo L 150 , zu sehen. Es dauerte nur eine gute Stunde, bis er die Zufahrt von den querliegenden Bäumen befreit hatte.
Ronnys Telefon klingelte. Mats Eliasson, der Chefredakteur, war am Apparat.
»Ronny, wo bist du?«
»Im Wald. Oder genauer: wo gestern noch Wald war.«
»Hast du es weit nach Osby? Kannst du fahren? Hast du Strom?«
»Fünfzehn Kilometer sind es von hier bis nach Osby, schätze ich. Aber hier ist alles zu, und Elektrizität gibt es auch nicht. Fahren kann ich später vielleicht, falls die Straße geräumt ist.«
»Wenn es irgendwie geht, sieh zu, dass du um fünf Uhr irgendwo am Festnetz bist. Wir machen eine Telefonkonferenz für das Blatt vom Montag. Wir müssen eine Ausgabe machen, an die sich die Leute noch in fünfzig Jahren erinnern werden.«
»Den Sturm werden sie bis dahin kaum vergessen.«
»Du verstehst, was ich meine. Also bis um fünf Uhr.«
Ronny ging zu Benigna, die mehr Brennholz aus dem Keller in die Küche trug.
»Benigna, ich werde jetzt versuchen, nach Osby zu kommen. Die Zeitung macht eine Konferenz. Das geht nicht ohne ein funktionierendes Festnetz.«
»Na, dann viel Glück. Aber wenn du nicht durchkommst, kehrst du um. Versprichst du das? Wir treffen uns hier um sechs Uhr. Wir rechnen mit dir.«
»Ich komme gerne.«
»Bring Wein mit, wenn du kannst. Und Bier.«
Die Landschaft, durch die Ronny nach Hause fuhr, war nicht wiederzuerkennen. Wäre der Krieg durch den Wald gezogen, es hätte nicht schlimmer aussehen können. Auf allen höherliegenden Gebieten hatte der Sturm
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