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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Johansson
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Cola-Flaschen und Red-Bull-Dosen, ein Paar teure Nike, und der Aschenbecher quoll über von Zigarettenkippen. Eine Mappe auf der Rückbank zog die Neugier Pelle Larssons an. Er ließ Fotos machen, dann griff er hinein und schlug sie auf. »The Return of the Responsible Man« stand in großen Lettern auf der ersten Seite, und darauf folgte ein Haufen einseitig eng beschriebener Seiten, bei denen jeweils der rechte Rand sehr breit gelassen war. Oft war dieser Rand mit handschriftlichen Anmerkungen gefüllt, mit Kugelschreiber und in einer seltsam ungelenken Schrift, als hätte sie ein Kind verfasst, das sich beeilen musste. Pelle griff in die Tasche, zog eine durchsichtige, verschließbare Kunststofftüte heraus und legte die Mappe hinein. Dann zog er den Kopf wieder aus dem Auto hervor.
    »Ruf die Kollegen aus Kristianstad an«, sagte er zu seinem Assistenten, »sie sollen die Techniker herschicken. Und dann sollen sie irgendein Gerät besorgen, mit dem man diese Kiste aus dem Sumpf holen kann, irgendetwas für schweres Gelände. Sie sollen gucken, ob sie einen großen Harvester leihen können oder einen Schreitbagger.«

Einundvierzig
    Die zwei Tage nach dem großen Sturm, für den sich bald schon sein meteorologischer Name »Olga« durchsetzte, gehörten zu den anstrengendsten, die Ronny Gustavsson je erlebt hatte. Er hatte keine Zeit mehr, um Musik zu hören, es gab keine Telefongespräche mit Benigna Klint, er ging spät schlafen und stand früh auf. Er hatte einen bewegenden Bericht über eine Gruppe von Nachbarn geschrieben, Waldbauern allesamt, die sich am ersten Abend nach dem Sturm um den einzigen funktionierenden Holzherd in der Umgebung versammelt hatten und dort mit Schnaps und Gesang dem Untergang trotzten.
    Der Artikel war ein großer Erfolg geworden, vielleicht, weil er zum ersten Mal in seiner Laufbahn als Journalist das Wort »ich« benutzt hatte, vielleicht auch, weil es darüber hinaus keine guten Nachrichten gab: »Olga« wurde, das war von Stunde zu Stunde deutlicher zu erkennen, zur größten Katastrophe, die diese Gegend seit Menschengedenken heimgesucht hatte. Ronny zählte die Quadratkilometer zusammen, auf denen kaum noch ein Baum stand, er begleitete die Räumtrupps, die Straßen und Schienenwege freilegten, er sah die Männer, die, oft mit Hilfe von provisorisch gezimmerten Gerüsten, die Elektrizitätsleitungen neu spannten. Es hatte Tote und Verletzte gegeben, und zwar vor allem auf den kleinen Höfen, deren Besitzer keine Erfahrung hatten mit gefallenen, unter Spannung stehenden Bäumen. Und zwei Waldbauern, einer bei Gnosjö, der andere in Tånnö am Vidöstern, hatten Selbstmord begangen, aus Verweiflung über die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage.
    »Ich kann diese Männer verstehen«, hatte Ronny den Lesern in seinem großen Artikel erklärt, »Bauern sind besondere Menschen, sie sind Unternehmer und Arbeiter zugleich, und sie sind fest mit ihrem Boden verwachsen. Und bei Waldbauern ist diese Bindung noch enger. Es dauert so lange, bis sie ernten können, sechzig oder achtzig Jahre oder noch länger, und wenn sie heute einen Baum setzen, wissen sie, dass es erst die Enkel oder die Urenkel sein werden, die ihn fällen. Und wenn das jetzt alles daliegt, vom Sturm zerstört, dann wissen die Bauern, dass das, was da zugrunde ging, ihr ganzes Vermögen war, nicht nur das von heute und das ihre, sondern auch das Vermögen der Kinder und der Kindeskinder.«
    Nach den ersten offiziellen Schätzungen sollte der Sturm bis zu 75  Millionen Kubikmeter Holz gefällt haben. Waldarbeiter aus dem Schwarzwald sollten jetzt eingeflogen werden, hatte es in den Rundfunknachrichten geheißen, aus Frankreich und aus Polen, weil die eigenen Kräfte nicht reichten und diese Männer Erfahrung hätten mit großen Sturmschäden. Vor einigen Jahren hatte es dort wohl eine ähnliche Katastrophe gegeben. »Lothar« hatte der eine Sturm geheißen, »Kyrill« der andere. In den Zeitungen wurde in großen Artikeln gefordert, die industrialisierte Waldwirtschaft wenigstens teilweise zu beenden und an den Rändern der Wälder Laubbäume zu pflanzen. Denn diese hätten tiefere Wurzeln und hielten Stürmen besser stand.
    Ronny fuhr mit seiner verschrammten Panasonic hinaus zur Reichsstraße, um sich anzusehen, was mit den Stämmen geschah, die jetzt überall freigeschnitten wurden. Einige der kahlen Flächen, unmittelbar an der Straße gelegen, waren mit schweren Maschinen geräumt worden. Darauf wuchsen jetzt schnell

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