Der Sturm
Richard Grenier gebraucht, um in die Nähe von Ekeby Gård vorzudringen. Seinen Mietwagen, einen Mercedes der A-Klasse, hatte er kurz hinter Tollarp, nur ein paar hundert Meter von der Schnellstraße von Kristianstad nach Malmö entfernt, stehenlassen müssen. Jeder Traktor, jedes Baufahrzeug dieser Gegend schien unterwegs zu sein, mit und ohne gelbe Blinkleuchten. Überall fuhren Armeefahrzeuge herum. Überhaupt hatte das Militär offenbar die Regelung des Verkehrs übernommen. Jedenfalls wurde Richard Grenier von zwei jungen Soldaten von der Straße gewunken und nach dem Zweck seiner Fahrt gefragt. Als er nur vage antwortete, wurde er sofort aufgefordert, zurückzufahren. Er wendete zwar, stellte den Wagen aber dann auf dem Parkplatz einer Kirche am Wegesrand ab und machte sich wieder auf den Weg, dieses Mal zu Fuß. Die Orientierung lieferte ihm sein iPhone. Und tatsächlich fiel der schlanke, drahtige Mann in dem dunkelgrünen Parka und den schweren Wanderschuhen nicht auf. Er sah aus, wie viele hier aussahen, und er versuchte, dort zu gehen, wo viele unterwegs waren, immer dort zu sein, wo die meisten Menschen beschäftigt waren. Manchmal musste er warten, weil kein Durchkommen mehr war und die großen Maschinen erst ihre Arbeit vollenden mussten, manchmal hielt er an, um eine Verwüstung zu bestaunen.
Es dämmerte schon, als er an der Rampe ankam, die nach Ekeby Gård führt. Und er hatte das obere Ende des Damms fast erreicht, hatte gesehen, dass auf dieser Anhöhe fast kein Baum mehr stand, dass auch die Eichen und die Buchen gefallen waren, hatte das große Aufgebot an Maschinen gesehen, das sich hier einen Weg zu bahnen suchte, als sich ein großer Offizier in einer gefleckten Uniform vor ihm aufbaute.
»No way, Sir«, sagte dieser, nachdem er verstanden hatte, dass er einem Amerikaner gegenüberstand. »Das ist viel zu gefährlich.«
Vergeblich versuchte Richard, den Soldaten davon zu überzeugen, dass er unbedingt Ekeby Gård sehen müsse. Eigens zu diesem Zweck sei er aus den Vereinigten Staaten herübergeflogen. Denn das Schloss sei ja zum Verkauf angeboten, log er, weil ihm in der Hast und vor diesem Soldaten nichts Besseres einfiel. Und er habe wenig Zeit, ja, eigentlich gar keine. Aber seine Familie stamme aus Schweden, und er wolle unbedingt das Schloss sehen.
Der Offizier schüttelte den Kopf. »Ein anderes Mal, vielleicht morgen …«
»Wissen Sie, ob der Eigentümer da ist? Ich bin nämlich verabredet.«
»Es gibt keine Verbindung zum Eigentümer, seit dem Sturm nicht. Niemand hat ihn gesehen. Und wir können ihn auch nicht per Telefon erreichen. Wir werden deswegen wohl die ganze Nacht arbeiten. Noch eine Nacht. Und bitte – jetzt gehen Sie dorthin, wo Sie hergekommen sind. In diese Richtung gehen Sie jetzt keinen Schritt mehr weiter.«
Der Offizier hielt inne, als bemerke er plötzlich, dass hier etwas nicht stimme: »Sagen Sie mal, von wo kommen Sie, und wie sind Sie eigentlich hergekommen?«
»Zu Fuß«, antwortete Richard und zeigte auf seine schlammbedeckten Schuhe.
»Das war nicht sehr klug von Ihnen. Haben Sie ein Auto?« Richard nickte.
»Es steht an der Schnellstraße. Tollarp heißt das Dorf, glaube ich. Sagen Sie, ist das der einzige Weg nach Ekeby Gård?« Noch gab Richard nicht auf.
»Es führt noch ein Weg von der anderen Seite auf die Höhe, aber da geht es nur durch den Wald, und dort sieht es nicht besser aus als hier, nein, schlimmer noch … Aber …« Der Soldat brach ab und schaute Richard irritiert an. »Aber was reden Sie da? Ich sagte Ihnen doch, dass hier gar nichts geht. Wir bringen gleich einen Trupp Arbeiter zurück nach Kristianstad. Sie werden da mitfahren. Der Fahrer setzt Sie an Ihrem Auto ab. Sie sind hier im Weg. Sie behindern die Arbeit.«
Richard Grenier nickte, verblüfft ob des Befehlstons. Man sah ihm an, dass er sich diesen Ton unter anderen Umständen nicht hätte gefallen lassen. Dann kehrte er um und ging, sichtbar enttäuscht, langsam die Rampe hinunter. Als ein kleiner Bus vorfuhr und ein paar erschöpfte Arbeiter aufnahm, stieg auch er ein.
Vierundvierzig
Es war schon nach zehn Uhr abends, als Ronny Gustavssons Telefon klingelte. Benigna Klint war am Apparat.
»Ronny, ich mache mir große Sorgen um Wille. Er war allein zu Hause, als der Sturm kam. Das hat mir Maja gesagt, seine Haushälterin. Seitdem hat keiner mehr etwas von ihm gehört. Das ist jetzt drei Tage her. Ekeby Gård ist von der Außenwelt abgeschnitten, das weiß ich,
Weitere Kostenlose Bücher