Der Sturm
gigantische Holzberge.
»Was macht ihr denn mit dem ganzen Holz?«, fragte Ronny einen Vorarbeiter, der auf einem solchen Lagerplatz die Forstmaschinen mit ihren langen Greifarmen dirigierte.
»Das weiß ich nicht«, antwortete dieser, »erst einmal stapeln, dann sehen wir weiter.«
»Hat es denn noch irgendeinen Wert?«
»Klar, Papier kannst du immer daraus machen. Aber viele Stämme sind noch so intakt, dass sie auch für Bauholz taugen. Oder für Furnier.«
»Aber solche Mengen kann man doch gar nicht verkaufen. Man müsste sie Jahre lagern.«
»Da sagst du etwas Wahres. Heute Morgen hat hier jemand vorgeschlagen, die Stämme in den Seen zu lagern. Weil sie unter Wasser weniger schnell verrotten als an der Luft.«
»Weißt du, wer das war?«
»Ich kannte ihn nicht, aber er kam von Södra Skogsägarna, der großen Genossenschaft der Waldbesitzer. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, haben sie schon angefangen, die Stämme in die Seen zu kippen. Gut, dass wir so viele Seen haben.«
Zweiundvierzig
Ronny Gustavssons Mobiltelefon klingelte. Leif Karlsson, der Kollege mit den guten Beziehungen zur Polizei, war am Apparat.
»Sie haben das Auto gefunden, den BMW des deutschen Chefredakteurs, mitten im Wald. Die Schnauze war in einen Sumpf gekippt. Das Ding war so gut versteckt, dass es in hundert Jahren nicht aufgetaucht wäre. Ich meine, wenn es nicht den Sturm gegeben hätte. Ein paar Arbeiter von Eon oder Telia haben ihn gefunden. Pelle Larsson gibt eine kleine Pressekonferenz, heute Nachmittag um fünf Uhr. Kannst du hinfahren? Du kennst die Geschichte besser als irgendein anderer.«
»Fünf Uhr? Das ist knapp. Das sind noch drei Stunden, und ich muss noch einen Bericht liefern.«
»Das schaffst du.« Ronny stöhnte auf. »Komm, hör zu, ich habe den Umbruch gesehen. Du hast doch nur fünfzig Zeilen.« Tatsächlich interessierte Ronny mittlerweile nichts mehr als diese Geschichte. Er war neugierig, er wollte wissen, was mit diesem großen Theoretiker der Verschwörung geschehen war. Suchte er nach dem Herzen der Finsternis?
Drei Stunden später saß Ronny in einem Konferenzraum der Polizei in Kristianstad, der einem Klassenzimmer für die Oberstufe glich, mitsamt Beamer und Leinwand. Die Kollegen von den anderen Zeitungen waren da, dieselben, denen Ronny zuletzt unter dem großen Stuhl bei Älmhult begegnet war, die kleine Frau mit den kurzen, blonden Haaren, der er bei Dostojewskij geholfen hatte, ein großer, schwerer Kollege aus Broby, der vor lauter Übergewicht nur noch laut atmen konnte, und dann noch zwei oder drei weitere Journalisten. Sie nahmen ihn in ihre Mitte wie einen alten Gefährten, sie sprachen mit ihm, als wäre er einer von ihnen, und für einen Augenblick fühlte Ronny sich wohl in seinem Beruf.
Pelle kam herein, mit schweren Bündeln Papier unter dem Arm. Der kleine, dicke Polizist brummte vor Zufriedenheit, und als er zu sprechen begann, stellte er sich immer wieder auf die Zehenspitzen, so dass er aussah wie ein vor sich hin hüpfender Hartgummiball. Also, man habe das Fahrzeug des Toten gefunden, sagte er und ließ auf der Leinwand eine Karte Nordschonens aufscheinen, auf der ein weißes Kreuz leuchtete. Es habe wohl jemand versucht, das Auto von einem schon lange nicht mehr benutzten Waldweg in einen Sumpf zu fahren, was aber nur halb gelungen sei. Das Auto habe aber immerhin so tief im Schlamm gesteckt, dass man es nicht mehr ohne fremde Hilfe habe bewegen können. Es gebe aber am Wagen keine Anzeichen für einen Diebstahl, auch nicht für ein Gewaltverbrechen. Sogar der Schlüssel habe noch gesteckt. Das Auto befinde sich jetzt hier, in Kristianstad, und werde von den Technikern der Spurensicherung untersucht. Man habe auch die Kollegen in Berlin informiert, die Unterstützung versprochen hätten. »Wir befinden uns hier mitten in einer internationalen Zusammenarbeit.« Und ja, man sei sehr zuversichtlich, der Lösung dieses Falls einen entscheidenden Schritt näher gekommen zu sein.
»Wie erklärst du dir den Fundort?«, fragte der dicke Journalist aus Broby, »kann man vermuten, dass das Auto von jemandem dorthin gefahren wurde, der sich gut auskennt?«
»Wir arbeiten jetzt mit mehreren Hypothesen«, antwortete Pelle. Er könne dazu nur sagen, dass der Fundort tatsächlich sehr abgelegen sei. Es hätte unter Umständen Jahre dauern können, bis ein Mensch dort vorbeigekommen wäre.
»Betrachtet die Polizei den Mord an diesem Deutschen als ein Symptom dafür, dass sich
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