Der Sturm
Eine Stunde verging, zwei Stunden vergingen. Dann kam Wilhelm zu sich.
»Benigna«, sagte er, als er die Augen geöffnet hatte. »Katarina.« Er schaute sich um. »Ronny«, sprach er, als sei dessen Anwesenheit die selbstverständlichste Sache der Welt. Dann fuhr er fort zu reden, in völlig klaren Worten und mit einem etwas pompösen Ton, als wäre er immer noch der Souverän der vergangenen Tage in seinem Reich:
»Ich hatte gedacht, ich wäre Alexander, der Kopf der Verschwörung gegen den König. Wie ihr seht, habe ich mich getäuscht. Ich bin nicht der Aufstand, ich bin der König. Ich bin Gustav III ., und die Verschwörer haben mir in den Hintern geschossen, mit einer großen Ladung Schrot. Jetzt stirbt der König, langsam, damit alle von seinem Sterben etwas haben. Scheiße, irgendeiner hat hier das Orchester vergessen. Ronny, schaff mir den kleinen, dicken Polizisten her, diesen Pelle Larsson aus Kristianstad. Ich habe ihm etwas zu sagen. Den will ich, keinen anderen. Es sind ja alles Idioten, sowieso, aber ihm muss ich jetzt weniger erklären.«
Nach diesen Sätzen dämmerte Wihelm wieder weg. Ronny nahm sein Mobiltelefon, ging vor die Tür und rief Pelle an. Solche Anrufe würden ja mittlerweile zur Routine, sagte dieser spöttisch. Ronny erklärte ihm in drei Sätzen die Lage. Pelle wurde sofort sachlich. Ja, selbstverständlich, in zwei Stunden sei er da, sagte er. Er werde aber einen Kollegen von der Reichskriminalpolizei mitnehmen müssen, das sei jetzt einfach so.
Noch zwei-, dreimal wachte Wilhelm auf. Einmal kam der behandelnde Arzt, betrachtete die Monitore, schüttelte den Kopf, ließ eine Blutprobe abnehmen und ordnete weitere Infusionen an: »Wir können nicht operieren«, sagte er, »es sind zu viele Organe beschädigt. Er würde sofort verbluten.« Einmal blickte Wilhelm auf Katarina, nickte leicht und sagte: »Deine Mutter wird dir das erklären. Dann wird es leichter.« Danach schaute Wilhelm für ein paar Minuten Benigna an, verlangte ihre Hand und sagte leise, beinahe zärtlich: »Benigna, du wirst jetzt frei sein. Für dich gibt es nun keine Vergangenheit mehr, keinen mehr, der zu viel weiß. Mit dem da« – er wies auf Ronny – »wirst du schon zurechtkommen. Mach etwas aus deiner Freiheit. Und pass auf Katarina auf.«
Ein anderes Mal fixierte er Ronny: »Wirst du dich um das Notebook kümmern?« Ronny nickte. »Gut, dann kann nichts mehr passieren. Die Politik ist jetzt kaputt, das Geschäft ist kaputt. Der Amerikaner muss sich jetzt eben etwas Neues ausdenken. Das ist jetzt nur noch sein Problem.«
Als die beiden Polizisten eintrafen, hatte Wilhelm länger geschlafen. Er schlief weiter, während sie still im Zimmer saßen, auf den Stühlen, die eine fürsorgliche Krankenschwester leise hereingetragen hatte. Nicht einmal geflüstert wurde in dem Zimmer, jeder der fünf schaute vor sich hin, betrachtete die Einrichtung, verfolgte das Flackern der Zahlen und Leuchten auf den Monitoren, wagte es nicht, die anderen Menschen im Raum zu betrachten. Ein Krankenpfleger kam herein, prüfte die Geräte und blieb. Es dämmerte fast schon wieder, als Wilhelm wieder aufwachte, Pelle Larsson erkannte und den zweiten Polizisten ignorierte.
»Gut«, sagte er mit schwacher Stimme, immer wieder neu ansetzend, »gut, dass du da bist. Ich habe dir etwas zu sagen. Ihr sucht den Mörder dieses deutschen Journalisten. Jetzt, ich sage euch jetzt, dass ich es war. Ich habe ihn erschlagen. Ich bin der Mörder. Ich habe den Wagen in den Wald gefahren. Das war ja nicht weit.« Die Stimme stockte.
»Wenn ihr richtig sucht, werdet ihr Spuren von mir im Auto finden. Nicht wahr, ihr habt nicht daran gedacht, dass ich es sein könnte? Deshalb habt ihr noch nichts gefunden. Ihr habt es nicht für möglich gehalten.« Wilhelm wirkte jetzt so schwach, dass alle fürchteten, er werde jetzt sofort verstummen, für immer.
»Ein Erpresser war er, dieser sogenannte Journalist.« Nach ein paar Minuten war wieder ein wenig Kraft da. »Er kam aus Amerika und wollte eine Geschichte schreiben, über die Zukunft des Internets und die Zukunft der Banken, mit echten Helden, mit Menschen aus der Wirklichkeit. Aber er hat schnell verstanden, wozu ich die Computer wirklich brauchte. Und dann wollte er immer mehr wissen, und er hätte uns auffliegen lassen, für einen Scoop in seiner Zeitung: ›Sie wollen die Welt retten. Dafür werden sie zu Terroristen des Banksystems‹ oder sonst so einen Kitsch.« Bei den letzten
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