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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Johansson
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hatten sie sich je einen Beutel geben lassen, mit einer provisorischen Zahnbürste, einer kleinen Tube Zahncrème, einem provisorischen Kamm, mit einem Einmal-Rasierer und einer Minidose Rasierschaum für ihn, mit je einem Deo und einer Hautcrème für die beiden Frauen. Das Mädchen am Tresen hatte auf Benignas Bitte hin nur »selbstverständlich« gesagt und in einen Schrank hinter sich gegriffen. Ein Portier hatte Ronnys rostigen Toyota weggefahren, ohne darüber eine Miene zu verziehen.
    »Siehst du«, sagte Benigna, »das war es, was ich meinte.«
    Ronnys Zimmer ging auf den Hof. Unten rauschte ein Dunstabzug. Es roch leicht nach Friteuse. Als er den frischen Bademantel auf seinem Bett fand, schlugen die Glocken von St. Petri zehn Uhr. Er wusch sich das Gesicht und ging dann hinüber zu den Frauen. Benigna hatte eine Flasche Wein und ein paar Sandwiches bringen lassen.
    »Ich weiß, was du sagen willst: Rufen wir die Polizei an. Das sagst du immer, und du hast manchmal recht damit. Aber es geht nicht, Ronny, es geht jetzt noch nicht. Es geht nicht wegen Wille, nicht, wenn er noch lebt. Wir alle haben begriffen, dass da etwas Illegales gelaufen ist, und wenn er deswegen in Schwierigkeiten kommt, ich meine, mit der Polizei, werden nicht wir es sein, die ihn verraten haben. Nicht wahr, Katarina?«
    Katarina nickte müde.
    »Gehen wir jetzt besser schlafen. Und wenn wir morgen unterwegs sind, sollten wir uns nur in der Öffentlichkeit aufhalten. Am besten wäre es vermutlich, wenn wir zusammenblieben.«
    Ronny brauchte lange, um einzuschlafen. Er hatte Angst, immer noch Angst, er dachte an die sonderbare Entführung, die wohl nur eine Warnung, aber schlimm genug gewesen war, er fürchtete sich vor dem nächsten Tag. Er überlegte, ob er, Hals über Kopf, nach Berlin fahren sollte. Bloß weg von hier. Vielleicht sollten sie alle zusammen nach Berlin flüchten. Aber gäbe es da mehr Sicherheit? Als er endlich einschlief, nach Stunden, glich sein Schlaf einer tiefen Bewusstlosigkeit.

Zweiundfünfzig
    Es war schon nach acht Uhr morgens, als Ronny Gustavsson aufwachte, erschrocken darüber, dass es so spät war. Auf seinem Telefon fand er eine Nachricht von Benigna Klint: »Sind bei Wille im Zentralkrankenhaus. Am besten, du kommst nach.« Er stellte auf Rückruf, doch ihr Telefon war abgeschaltet. Ronny duschte eilig, schnitt sich mit dem Einmal-Rasierer, zog die Kleider des gestrigen Tages an und ging, ein Papiertaschentuch gegen das Kinn gepresst, in den Frühstücksraum, wo er sich mit dem Rücken zur Wand und mit dem Gesicht zur Eingangstür hinsetzte. Aber der Raum war fast leer, es saßen nur ein paar einsame Männer darin, die ebenfalls frühstückten, und es passierte nichts. Schnell trank er einen Kaffee und aß ein Hörnchen. Eine Viertelstunde später war er auf der Straße, unterwegs zum Universitätskrankenkaus im Stadtteil Södervärn, zu Fuß. Eine halbe Stunde, höchstens, hatte er auf Google Maps gesehen, würde er für den Weg brauchen.
    Unterwegs rief er Mats Eliasson an. Nein, er könne heute nicht, wie geplant, zum Auftritt der Lucia auf dem Campingplatz in Vittsjö fahren. Vielleicht im nächsten Jahr, das werde so schnell nicht aufhören mit dem Camping im Winter – dank des Klimawandels. Ja, es gehe immer noch um Wilhelm af Sthen, vielleicht würde er jetzt sterben, da sei es doch besser, wenn er seine Geschichte – Ronny sprach von »seiner« Geschichte – bis zum Ende verfolge. Mats Eliasson gab sofort nach.
    Es war nicht schwierig, bis zu Wilhelms Zimmer vorzudringen. »Ich bin ein Freund«, hatte er am Eingang gesagt, und dann wurde er nach oben verwiesen, in den vierten Stock. Doch zwei Polizisten in Zivil hielten ihn vor der Tür des Krankenzimmers zurück. Er musste warten, bis Benigna eine halbe Stunde später den Raum verließ. Sie sah bleich und erschöpft aus.
    »Was ist mit ihm?«
    »Er hat Morphium bekommen. Die Ärzte sagen, er habe starke innere Blutungen. Sie haben nicht viel Hoffnung. Jetzt schläft er.«
    Als Benigna wieder in das Zimmer zurückging, durfte Ronny mitgehen. Dort lag Wilhelm, eingekreist von Schläuchen und Apparaten, sehr blass, aber äußerlich unversehrt, bis auf die Wunden im Gesicht – beinahe so, wie er ihn vor vierundzwanzig Stunden zuletzt gesehen hatte, groß und beeindruckend, mit nach hinten gekämmten, langen Haaren. Ein grauer Stoppelbart war ihm gewachsen. Katarina saß still auf einem Stuhl neben dem Bett. Sie sah sehr mitgenommen aus.

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