Der Sturm
Sätzen war Wilhelm so leise geworden, dass man ihn fast nicht mehr verstand.
»Der Deutsche wurde zuletzt an einer Tankstelle nördlich von Älmhult gesehen«, sagte der Mann von der Reichskriminalpolizei, »das liegt nicht auf dem Weg von Berlin nach Ekeby Gård.«
»Dieser Trottel«, Wilhelm lachte einmal hart auf und verzog dann das Gesicht vor Schmerz, »dieser Trottel hatte bloß den Namen ›Ekeby‹ in sein Navigationssystem eingegeben. Das gibt es mindestens zwanzigmal in Schweden. Er war unterwegs nach Oskarshamn. Da gibt es noch ein Ekeby. Ich musste ihn umdirigieren.«
»Wilhelm, aber was hast du mit der Leiche gemacht? Warum hast du sie nach Visseltofta gebracht?« Pelle war aufgeregt.
Wilhelm af Sthen hatte jetzt fast keine Kraft mehr. »Wenn – wenn einer die Leiche findet, nicht das Auto – dann sieht das aus wie Diebstahl.«
»Aber es sind doch fast sechzig Kilometer zwischen Auto und Leiche?«, sagte Pelle. Die Frage war schnell gestellt und hing dunkel im Raum.
»Ach«, sagte Wilhelm schließlich. »Ja, das stimmt.« Dann schien er wieder hinwegzudämmern.
»Sie müssen jetzt gehen«, forderte der Krankenpfleger die Anwesenden auf. »Er ist sehr schwach, er kann das jetzt nicht mehr.« Dann wandte er sich zu Benigna und Katarina: »Sie können bleiben. Vielleicht braucht er Sie.« Als Pelle und sein Kollege nicht sofort aufstanden, wies er mit dem Finger auf den Ausgang. Sie gehorchten.
Vor der Tür fragten die beiden Polizisten den Krankenpfleger, ob sie noch einmal wiederkommen könnten. Und wann. Frühestens am folgenden Morgen, antwortete dieser, falls Wilhelm die Nacht überlebe.
Benigna sprach in knappen Worten mit Ronny. Er solle für sie und Katarina ein wenig Wäsche kaufen, ein paar Pullis vielleicht und auch Hygieneartikel. Das Einkaufszentrum am Triangeln war ja nicht weit. Sie drückte ihm ein paar Tausend-Kronen-Scheine in die Hand, die sie, zu Ronnys Überraschung, aus der Handtasche gezogen hatte. Sie rufe ihn dann an, auf dem Mobiltelefon, wenn es etwas Neues gebe.
Dreiundfünfzig
Ronny Gustavsson ging in das Kaufhaus KappAhl, betrat die Abteilung für Damenunterwäsche und kam sich vor wie ein Voyeur, schlimmer noch: wie ein Fetischist. Doch gleichzeitig beflügelte ihn ein seltsames Gefühl von familiärer, ja körperlicher Vertrautheit, das ebenso unheimlich wie verlockend war. Immerhin hatte sie ihn gebeten, ihr die Unterwäsche zu kaufen. Ein Glück, dass Katarina die gleiche Größe wie ihre Mutter hatte. Es war alles »M« wie »Medium«. Die Pullis zu erwerben war da schon leichter – einfache langärmlige Polos in Schwarz mussten reichen. Ronny erledigte den Auftrag, mit einer gleichgültigen, entschlossenen Miene, die Buster Keaton gut gestanden hätte, und mit gerader Haltung. Für drei Tage hätten sie jetzt genug Kleidung, dachte er, als er mit seinen Tüten von Hamngatan in Norra Vallgatan einbog, wo der Eingang zum Hotel Savoy lag. Vor dem Eingang stand ein neuer, schwarzer, mit vier Männern besetzter Mercedes der S-Klasse, blinkte nach links und fuhr auf die Straße hinaus. In einem einzigen, kurzen Augenblick erkannte Ronny den Mann, der auf dem hinteren Sitz auf der rechten Seite saß: Es war Richard Grenier. Und der hatte auch ihn erkannt, das wusste Ronny im selben Moment.
Ronny war vom Schrecken fast gelähmt und ging weiter, am Eingang des Hotels vorbei, schaute nicht einmal hinein, bis zur nächsten Straßenecke, zurück auf Stora Torget. Er ging sehr schnell, mit klopfendem Herzen, schaute sich nicht um, versuchte, möglichst viele überraschende Wendungen zu machen. Erst in der Hansagalerie in Stora Nygatan wagte er, sich umzusehen, auf der gläsernen Rolltreppe. Aber es war niemand hinter ihm. Das ganze Einkaufszentrum schien sogar so gut wie leer zu sein. Er raste in einen Schuhladen, nahm ein Paar Sneakers in die Hand, stellte sie wieder hin, ging hinaus, fuhr mit der Rolltreppe wieder hinunter, besuchte die Buchhandlung, versteckte sich lange mit einem Bildband hinter einem Regal, beobachtete durch eine Lücke zwischen den Büchern, wer vor dem Geschäft vorbeiging. Niemand schien nach ihm zu suchen. Im Zickzack, mit der gleichen rasenden Geschwindigkeit wie auf dem Weg zur Mall, ging er dann zum Hotel zurück, sich immer wieder umschauend, fand einen Seiteneingang, kam an der Küche vorbei, von wo man ihn verwundert ansah – und fühlte sich doch bedroht und gejagt.
Er war kaum in sein Zimmer getreten, hatte den Schlüssel
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