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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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brauchte Streichhölzer oder ein Feuerzeug. Warum hatte er nicht gleich daran gedacht? Weil du nicht an alles denken kannst, Chris. Weil du vielleicht nicht aufhalten kannst, was hier oben vor sich geht. Genauso wenig, wie du den Sturm aufhalten kannst, genauso wenig, wie du den Wagen stoppen konntest, als er die Straße hinuntergerast ist.
    Warum gehst du nicht einfach zurück zu den Mädchen? Verbarrikadierst dich mit ihnen im Apartment?
    Weil ich nicht den Schwanz einziehe und kneife. Weil ich die Dinge anpacke. Weil ich anders bin als mein Vater.
    Darum ging es doch die ganze Zeit, oder? Immer und immer wieder ging es um ihn.
    Chris wandte sich um und kämpfte sich in seinen Spuren zurück zum Hauptgebäude. Er lief in die Eingangshalle und fand dort beim Kaminholz ein Stabfeuerzeug. Bevor er es einsteckte, versuchte er mehrfach, ob es auch funktionierte.
    Und obwohl ihm davor graute, das Gebäude zu verlassen und erneut hinaus in die Eiseskälte zu treten, tat er es.
    Es dauerte Minuten, bis das Schloss so weit aufgetaut war, dass der Schlüssel sich drehen ließ. Der Schnee kam als gefrorene Eissplitter auf der Erde an und Chris hätte sich nicht gewundert, wären seine bloßen Hände oder das Gesicht von Schnittwunden überzogen. Innerhalb von Minuten hatte er das Gefühl, dass sein Hemd an seinem Oberkörper festgefroren war. Und Tränen brannten in seinen Augen, als endlich das Tor aufsprang.
    Die Bungalows der Lehrkörper säumten die schmale Straße vor ihm. Sie waren alle um die gleiche Zeit erbaut worden und glichen sich bis auf Einzelheiten aufs Haar. Chris hatte nie verstehen können, warum die Koryphäen, die hier am Grace lehrten, es hinnahmen, dass sie in billigen Fertighäusern leben mussten.
    Chris versank bis zu den Knien im Schnee, als er die Straße überquerte. Soweit er sich erinnerte, wohnte Professor Brandon in einem der letzten Bungalows Richtung Sportcenter, irgendwo neben den Forsters.
    Chris war im August mit Julia bei dem Französischdozenten eingeladen gewesen, eine von diesen furchtbaren Dinnerpartys für Studenten, die sich besonders hervorgetan hatten. Julia und Rose hatten Mrs Forster bei einer Kunstinstallation assistiert und als Dank dafür mussten sie sich vier Stunden mit ein paar Streberstudenten und jeder Menge Profs herumschlagen, einer langweiliger als der andere. Professor Forster hatte den Gastgeber herausgekehrt und darauf bestanden, dass sie auf Französisch parlierten, wie er sich ausdrückte.
    Chris hatte damals neben Brandon gesessen, der, das musste man ihm lassen, Forster nach Strich und Faden verarscht hatte. Den ganzen Abend lang. Und dabei hatte er ihn penetrant mit »Monsieur Voisin – Herr Nachbar« angeredet. Chris erinnerte sich noch, dass er und Julia Blicke getauscht und hinterher einen Lachflash nach dem anderen bekommen hatten, als sie Forsters genervten Gesichtsausdruck nachmachten. Oh, nein! Kein gutes Karma zwischen den beiden – von wegen guter Nachbarschaft!
    Chris atmete tief durch. Okay, da drüben war Forsters Haus. Er erkannte es an den bunten Glasscheiben an der Haustür, die Forsters Frau aus Scherben zusammengesetzt hatte und die aufleuchteten, als er die Taschenlampe darauf richtete.
    Dahinter schloss sich nur noch ein Bungalow an.
    Brandons Hütte.
    Chris sah unschlüssig zu den dunklen Fenstern hoch, die mit Sturmgittern versehen waren.
    Er wusste selbst nicht recht, was er jetzt tun sollte. Einfach klingeln? Fragen, ob jemand zu Hause war?
    Mach schon, Chris! Du magst Brandon. Er ist der einzige coole Prof hier am Grace. Es wird eine normale Erklärung geben, warum er zurückgekommen ist.
    Chris legte die eiskalten Finger auf die Klingel und hörte, wie es im Innern schrillte.
    Er wartete. Doch nichts rührte sich. Fest stand, dass der Wagen des Professors nicht auf dem Parkplatz gestanden hatte, als sie nach dem Unfall zurückgekehrt waren. Außerdem hätte der Wagen sie doch überholen müssen, als sie zum College zurückgelaufen waren. Brandon war vor ihnen weggefahren.
    Aber es blieb Ike. Brandon sagte zwar immer, dass Ike sich sein Herrchen selbst aussuchte, aber Chris hatte gesehen, wie der Hund, wenn auch widerwillig, in den Wagen gesprungen war. Da war er sich ganz sicher.
    Versuchsweise griff er nach der Klinke und drückte sie herunter. Wie erwartet war die Tür verschlossen. Aber wozu hatte er den Schlüsselbund mitgenommen? Hier oben gab es Sicherheitsschlösser und die Security hatte zu allen Gebäuden Zugang. Er

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