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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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blendete sie einfach aus, schaltete sie ab.
    Und diesmal nahm er sich Zeit. Zeit, die er nicht hatte. Die Zeit, die ablief. Die rückwärts zählte. Aber noch einen Fehler konnte er sich nicht erlauben.
    Er sah sich um.
    Sein erster Blick fiel auf eine antike Kommode, über der ein Spiegel in einem Goldrahmen hing, und auf eine Vase darauf. Die roten Mohnblüten in ihr verströmten einen betörenden Duft.
    An der Garderobe hingen Jacken und Mäntel in Reih und Glied, Schuhe standen ordentlich wie mit dem Lineal ausgerichtet im Regal. Kein Bild, das schief hing, kein Staubkorn, das durch die Luft flog.
    Er hielt den Atem an.
    Lauschte dem Pochen seines Herzens.
    Diesmal war er richtig.
    Diesmal täuschte er sich nicht.
    »Chris?«
    Er schüttelte den Kopf.
    Bitte nicht stören.
    Warum hatte noch niemand ein Schild erfunden, das man sich auf die Stirn kleben konnte, damit andere kapierten, was in einem vorging.
    Aber Rose, sonst sensibel und zurückhaltend, packte seinen Arm und zwang ihn, ihr zuzuhören.
    »Chris, schau dir das an!«
    Er schüttelte den Kopf.
    Bin beschäftigt. Bitte nicht ansprechen. Lass mich in Ruhe.
    Nur etwas störte den Eindruck.
    Die Abdrücke schmutziger Schuhe auf dem weißen Fliesenboden. Der Schneematsch, von draußen ins Innere des Hauses getragen, war zu braunen Pfützen geworden.
    Und sie waren überall.
    »Chris! Das ist eine Nachricht! Eine Nachricht für Julia!«
    Er fuhr herum.
    Rose streckte ihm ein Blatt Papier entgegen. »Hier, es lag auf dem Boden.«
    Er riss es ihr aus der Hand.
    Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen.
    Der Absender.
    [email protected]
    Remembrance Day.
    Remembrance of Things Past!
    Auf der Suche nach der verlorenen Zeit!
    In seinen Ohren rauschte es, als er die Nachricht las.
    Ich weiß, was dein Vater getan hat.

29. Kapitel
    W ie seltsam.
    Jetzt in der Dämmerung schien ihm der Himmel heller und weiter, als er den ganzen Tag über gewesen war. Die dichten Wolken, die den ganzen Tag über das Tal in eine unnatürliche Dunkelheit gehüllt hatten, waren dabei, sich aufzulösen.
    Chris stand auf dem obersten Absatz der Treppe und starrte auf die schneebedeckte Straße. Kein Wind verwehte mehr die Fußabdrücke. Der Schnee verbarg keine Spuren mehr.
    Wenn er eines von seinem Vater gelernt hatte, dann dass die Dinge in dieser Welt in einem Zusammenhang standen, miteinander verknüpft waren. Selbst wenn die einzelnen Ereignisse, die sich über die vergangenen Stunden zu einem dichten, scheinbar undurchdringlichen Netz verwoben hatten, seinem Verstand noch wie lose Fäden erschienen – waren sie doch unauflöslich miteinander verbunden.
    Er stieg die Stufen hinunter und starrte nach links, wo der Weg am Sportzentrum vorbei hinunter zum See führte.
    Das Licht, das aus der geöffneten Tür von Forsters Haus auf die Straße drang, war hell genug, um Fußabdrücke zu erkennen.
    Achtlos waren sie darübergetrampelt.
    Er wandte sich Richtung Tor.
    Auch hier.
    Spuren. Überall.
    Fußabdrücke, die nicht endeten und die sich in den gefrorenen Schnee eingegraben hatten. Welche waren seine? Welche gehörten zu Steve? Zu Brandon? Welche waren groß, welche stammten von Julias Turnschuhen oder Debbies flachen Ballerinas, die sie am Morgen getragen hatte?
    In welche Richtung zeigten sie?
    Er ging weiter. Ließ das Tor hinter sich.
    Er hörte Steve und den Professor, Ben hinter sich herrufen, ihre Stimmen angespannt, aufgeregt, ja geradezu panisch... aber er drehte sich nicht um.
    »Bishop! Bleiben Sie stehen! Das hat doch keinen Sinn!«
    Und Rose, die rief: »Du kannst sie alleine nicht finden, du weißt nicht, wo sie ist.«
    Es war nahezu unmöglich, in der zunehmenden Dunkelheit die Spur aufzunehmen. Der nasse Schnee klebte an seiner Hose und seinen Schuhen. Er kam kaum vorwärts. Bei jedem Schritt, den Chris machte, achtete er darauf, in die vor ihm liegenden Fußstapfen zu treten, die sich tief in den Schnee gegraben hatten. Mit jedem Schritt schien er in ein tieferes Loch zu fallen. Dennoch schien er instinktiv zu spüren, wo er seinen Fuß als Nächstes hinsetzen musste. Wie weit entfernt lag ein Fußstapfen vor dem anderen? Einen halben Meter – mehr nicht. Du fühlst es, wenn du einen falschen Schritt machst.
    Er musste schneller sein als sie. Sie hatten Debbie bei sich. Und mit Debbie – er hatte nicht vergessen, wie sie am Morgen die verschneite Straße entlanggestolpert war – würden sie nur langsam vorankommen.
    Er hatte keine Ahnung, ob die anderen

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