Der Sturz aus dem Fenster
nicht hier sein und dir helfen können.«
»Pah«, sagte Kate. »Wahrscheinlich wird es Wochen dauern, ehe ich überhaupt anfange.«
Reed sagte: »Wenn du schon vorhast, anzufangen, dann am besten gleich. Das ist der einzige Rat, den ich dir geben kann. Stürz dich in die Geschichte und bring so viel wie möglich in Erfahrung.«
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»Warum, meinst du, sollte ich das tun? Und sag nicht, es sei meine Entscheidung. Ich bitte dich um Rat, verdammt noch mal.«
»Weil du, wie Humphrey sehr klug feststellte, die Wahl hast.
Und ich glaube, daß du sie schon getroffen hast. Es gibt Jobs, denen man sich nur auf eigenes Risiko verweigert. Und frag mich jetzt nicht, welches Risiko. Du weißt ganz genau, was ich meine.«
»Hier, wo ich jetzt sitze, saß Adams. Weißt du übrigens, daß sein Tod die Umsetzung einer weit verbreiteten akademischen Phantasie war – der Phantasie, gewisse Dozenten oder Professoren würden den jähen Entschluß fassen, die Welt von ihrer Existenz zu befreien. Die Objekte solcher Phantasien sind zumeist alternde und intellektuell eingerostete Professoren, die von keiner anderen Universität mehr Angebote bekommen und wild entschlossen sind, bis zu ihrer Pensionierung auszuharren. Und seit dem neuen, vom Kongreßabgeordne-ten Pepper initiierten Gesetz, kann ein Mann wie Adams bis in alle Ewigkeit bleiben. Nicht, daß viele Professoren es unbedingt darauf anlegen, von diesem Gesetz zu profitieren, aber sie könnten es, und das ist bedrohlich. Nimm mal an, jemand, vielleicht ein ansonsten durchaus angenehmer Mensch, hat einfach diese Phantasie in die Tat umgesetzt?«
»Es geht um Mord, und sowas kann man in einer Gesellschaft mit einem Minimum an Moral nicht hinnehmen. Das weißt du ganz genau.«
»Ja«, sagte Kate. »Das weiß ich. Aber ich kann mir meine ana-thematischen Gedanken über Adams und seinesgleichen einfach nicht verkneifen. Ist das nicht ein hübsches Wort? Ich hatte schon lange vor, es einmal zu benutzen, und jetzt ist’s mir gelungen. Wann fährst du nach Holland?«
»In einer Woche. Komm, laß uns was essen gehen. Oder glaubst du, wenn wir uns in einem chinesischen Restaurant was bestellen, würde es einer dieser unerschrockenen Burschen auf ihren Fahrrä-
dern wagen, es herzuliefern?«
Nachdem Kate Büro und Gebäude abgeschlossen hatte, brachte sie die Schlüssel zurück und ließ sich ihren Personalausweis wieder-geben. Die auffällige Beflissenheit und Höflichkeit des Mannes in der Wachzentrale wiesen darauf hin, daß die Verwaltung große Hoffnungen hegte und ihre Vorkehrungen getroffen hatte. Als Kate und Reed auf den fast leeren Campus hinaustraten, sagte Kate, daß sie sich immer einsam fühle, wenn sie in den Abendstunden oder an Feiertagen über den Campus laufe. »Vielleicht hat Adams sich auch 28
einsam gefühlt«, sagte sie. »Vielleicht hat er sich deshalb sein Büro so gemütlich eingerichtet.«
»Du bist sehr einfühlsam. Das gibt es selten. John le Carré sagte einen Satz, der mir sehr gefällt. ›Es ist die verzeihliche Eitelkeit einsamer Menschen überall auf der Welt, daß sie sich einbilden, sie seien absolute Einzelfälle‹.«
»Ich fürchte, meine Eitelkeiten sind unverzeihlich«, sagte Kate düster. »Denn sollte ich in diesem Fall versagen, wäre mein Selbst-bild zerschmettert.«
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Drei
wenn du warten kannst und nicht vom Warten ermüdest, oder belogen wirst und nicht zur Lüge greifst Am nächsten Morgen begann Kate ihre Untersuchung. Als erstes ging sie zu Butler, dem stellvertretenden Leiter des Wachdienstes, der zu der Leiche gerufen worden war. Kate merkte auf Anhieb, daß er seine Anweisungen hatte. Mehr oder weniger bereitwillig erzählte er ihr alles, was er über jene Nacht wußte. Dabei verleugnete er keine Sekunde, was er von Frauen wie Kate hielt. Wo Frauen hingehörten, das stand seiner Meinung nach klar und deutlich in den Gesetzen der irischen Republik. Er informierte Kate ausführlich über alles bis zur Ankunft der Polizei an jenem Sonntagmorgen.
»Und dann?« fragte Kate. War Butler mit den Beamten hoch in Adams’ Büro gegangen?
Ja, das war er. Schließlich hatte jeder Wachmann strikte Anweisung, wann immer die Polizei auf dem Campus erschien – was, gottlob, in den letzten Jahren immer seltener vorgekommen sei –, nicht von ihrer Seite zu weichen. Die Polizei hatte den Fahrstuhl benutzt (klar, dachte Kate, sie war ja auch in Funkkontakt mit potentiellen Rettern, im Gegensatz zu Reed und mir). Die Bürotür war
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