Der Sturz aus dem Fenster
Gedanken. Butler ging zur Tür und öffnete sie.
»Zwei Kaffee«, rief er ins Vorderzimmer. »Schwarz, oder?« fragte er Kate. »Dacht ich’s mir doch. Ich trinke meinen mit Zucker und Sahne, wenn möglich, sonst mit Milch. Also, wo waren wir stehen-geblieben?«
Stehengeblieben waren sie, wie Kate später am Abend Reed er-zählte, ganz am Anfang – bei der Leiche, von der niemand wußte, wie sie dorthin gekommen war und warum.
»Wahrscheinlich wird Butler mir helfen, weil er Adams noch schrecklicher fand als er mich findet«, sagte Kate. »Adams und ich sind für ihn Ungläubige der schlimmsten Sorte, aber Adams war obendrein noch arrogant und unehrlich. Ich habe das Gefühl, daß Butler sehr wichtig sein könnte, nicht nur, um mir überall Zugang zu verschaffen, sondern auch, weil er nachts und an Wochenenden da ist, eben dann, wenn der Campus so gut wie verlassen ist. Es tut gut, jemanden auf seiner Seite zu haben, der für die Sicherheit zuständig ist. Außerdem – es klingt vielleicht verrückt und ist es wahrscheinlich auch –, trotz der Abneigung, die ich gegen Wachdienste ganz allgemein habe, ich möchte einfach gern jemanden auf meiner Seite haben, der weder Akademiker ist noch zur Verwaltung gehört.«
»Wenn du meinst«, sagte Reed. »Ich hoffe bloß, er ist auch da, wenn der wirkliche Mörder plötzlich hinter dir her ist.«
Dem schenkte Kate keine Aufmerksamkeit. »Es gibt noch einen anderen Hoffnungsschimmer«, sagte sie, »als ich Adams’ Frau – ich sollte wohl lieber Witwe sagen – anrief, war sie sofort bereit, mit mir zu sprechen. Ich sagte ihr, ich sei Professorin an der hiesigen Universität, und so etwas macht offenbar größeren Eindruck, als ich dachte. Morgen werde ich mich mit ihr treffen. Wann fährst du?«
Und sie sprachen über andere Dinge.
34
Am nächsten Tag ging Kate um die Mittagszeit, zwischen zwei Vorlesungen, zu Cecelia Adams. Cecelia war völlig anders, als Kate erwartet hatte. Aber Kate war alt genug, um zu wissen, wie selten Erwartungen sich erfüllen. Kate wurde nahezu gleichzeitig von der erstaunlichen Erscheinung Cecelias – ganz mädchenhafter Über-schwang und dickes Make-up – und einem Gemälde derselben ü-
berwältigt, das Kate im Adamsschen Salon entgegenstarrte. Das Portrait ihrer Gastgeberin war so riesig, leblos, schmeichelhaft und durch und durch schrecklich, daß Kate nur mit Mühe ihren Abscheu verbergen konnte. Ein ironisches Lächeln schien um die Mundwin-kel der Frau auf dem Bild zu spielen, so, als mache sie sich über sich selbst lustig. Aber das war bestimmt eine Täuschung.
»Das bin ich – in vergangenen und glücklicheren Tagen«, sagte Cecelia Adams. »Wie wär’s mit ’nem Schlückchen?«
Kate lehnte ab. Als starke Trinkerin gestattete sie sich tagsüber nur selten Alkohol, und niemals mit Leuten, die tranken, um nicht denken zu müssen. Aber sie akzeptierte ein Glas Ginger Ale und versuchte, sich auf die eigenartig gehobene Stimmung ihrer Gastgeberin einzustellen.
»Wenn Sie über Canny sprechen wollen, muß ich mir gleich noch einen einschenken«, sagte Cecelia. Kates Gesicht hatte offenbar eine gewisse Verwirrung verraten, denn Cecelia erklärte: »Mein toter Mann, Canfield, der Überkandidelte. Prost.«
Kate lächelte sie an, Cecelia war eindeutig eine Narzißtin reinsten Wassers – sich selbst hingegeben, ihrer Schönheit, ihrem Hang zu teuren Dingen und Kleidern, aber sie hatte eine erfrischende Offenheit, die Kate um so mehr zu schätzen wußte, als sie sich tagtäglich in einer universitären Gemeinschaft bewegte, in der Egoismus als wissenschaftliche Strenge getarnt wurde und Vergnügen in der Verkleidung intellektueller Verzweiflung auftrat. Kate wußte, daß es in der akademischen Welt ebenso viele Paare gab, die dem Ideal einer ehelichen Gemeinschaft insoweit nahekamen, als sie sich auch nach Jahren noch etwas zu sagen hatten, wie anderswo auch. Aber sie hatte auch viele Fälle kennengelernt, wo es kaum noch Berüh-rungspunkte gab, von Gesprächen ganz zu schweigen. Von dieser zweiten Art schien die Adamssche Ehe gewesen zu sein. Trotzdem, man konnte nie wissen, und Kate neigte nicht zu voreiligen Schlüssen, wenn es um solche Dinge ging.
»Was meinen Sie mit überkandidelt?« fragte sie schließlich, was ihr klüger erschien als die Frage, warum Adams’ Frau eher gutge-35
launt als traurig wirkte.
»Er bildete sich ein, er wüßte Bescheid, hätte alle Schlauheit und Weisheit für sich gepachtet. Aber er
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