Der Sturz aus dem Fenster
absolviert, um Zugang zu einem verschlos-senen Haus zu bekommen. Dazu mußte man einen sogenannten Schlüsselausweis beantragen, die meisten Fachbereiche beantragten diese en masse für ihre Professoren. Wenn man dann den Schlüssel haben wollte – alle Schlüssel hatten als Anhänger ein großes Holz-stück –, hinterließ man seinen Personalausweis, den man bei Rück-gabe des Schlüssels zurückbekam. All das hatte Kate getan, und noch mehr: Um die Hilfsbereitschaft der Verwaltung sofort (und eigentlich ungerechtfertigterweise, denn sie hatte den Job ja noch nicht offiziell angenommen) auf die Probe zu stellen, hatte sie au-
ßerdem den Generalschlüssel für alle Türen in der Levy Hall verlangt. Zu ihrer großen Verärgerung und Enttäuschung – denn, wie sie Reed eingestand, hoffte sie auf irgendeinen Grund zur Beschwerde –
hatte der Leiter des Wachdienstes nach einem kurzen Blick auf ihren Personalausweis und seine eigenen Instruktionen ihr diesen Generalschlüssel ausgehändigt.
Sie und Reed hatten sich dann auf den Weg zur Levy Hall gemacht. Wie man sehe, sagte Reed, während er die Tür öffnete, könne jeder, der im Besitz eines Schlüssels sei, alle möglichen Leute einlassen, ohne daß jemand es merke. »Klar«, sagte Kate, »käme in diesem Moment jemand vorbei, den ich kenne und von dem ich weiß, er hat rechtmäßig hier etwas zu erledigen, würde ich ihn – oder sie – natürlich hineinlassen. Und ob vielleicht jemand auf diese Weise zusammen mit Adams die Levy Hall betrat, werden wir nie erfahren.«
Das Hauptgeschoß mit der Eingangshalle war eigentlich der dritte Stock, denn die Levy Hall war an einen Hügel gebaut. Und statt die unteren Stockwerke mit der Bezeichnung Kellergeschoß I und II zu versehen, hatte man von unten an gezählt. »III. Stockwerk«
prangte also in Großbuchstaben an der Wand gegenüber der Ein-gangstür. Kate und Reed stiegen die vier Treppen zum siebten Stock hoch. Adams’ Büro lag jedoch, darauf wies Kate Reed hin, als sie oben angelangt waren, auf der dem Haupteingang gegenüberliegen-den Seite, Adams war also sieben Stockwerke tief auf den betonierten Weg gestürzt.
Adams’ Büro sah einladend aus. Er, oder jemand anderes, hatte den strengen Raum mit einem Orientteppich und Wandbehängen geschmückt. Das, zusammen mit den vollgepackten Bücherregalen, 26
dem Sessel und der Stehlampe, verlieh dem Zimmer etwas viel Hei-meligeres, als man es von Universitätsräumen, zumindest denen an dieser Universität, gewohnt war. Adams hatte offenbar lieber in seinem Büro als zu Hause gearbeitet. Kein Wunder also, daß er auch zu ungewöhnlichen Stunden hergekommen war. Wie viele ihrer Kollegen benutzte Kate ihr Büro nur, wenn es unbedingt sein mußte: für Gespräche mit Doktoranden, ihre Sprechzeiten und hin und wieder für eine Sitzung mit Kollegen.
Beide gingen zu dem großen Fenster. Im oberen Geviert war ein Ventilator angebracht. Die unteren Flügel ließen sich ohne Schwierigkeiten so weit öffnen, daß jemand, der mit dem Gedanken spielte, sich hinauszustürzen (oder dem dieser Gedanke aufgezwungen wurde), genug Platz hatte. Der äußere Fenstersims war fast einen halben Meter breit. Ausgeschlossen also, daß jemand ohne fremdes Zutun unabsichtlich, in einem Schwindelanfall zum Beispiel, hinausstürzte.
Kate nahm an, daß man das Fenster nach Adams’ Tod geöffnet vor-gefunden hatte, aber das war, wie so vieles an diesem Fall, reine Vermutung.
Kate setzte sich an Adams’ Schreibtisch und bat Reed, gegenüber im Sessel Platz zu nehmen. »Wir müssen uns entscheiden«, sagte sie.
»Das war das falsche Pronomen.«
»Es war das richtige. Wenn du niemanden überreden kannst, mir ein paar der Fakten zu geben, mit denen die Polizei nicht herausrü-
cken will, und auch keinen anderen Weg weißt, daran zu kommen, kann ich nicht einmal anfangen. Wurde Adams’ Büro nach der Durchsuchung aufgeräumt? Sah der Schreibtisch so aus, als sei er durchwühlt worden? Etcetera, etcetera.«
»Die Universität kann die Polizei bestimmt dazu bringen, dir all das zu sagen. Das einzige, was sie zurückhalten werden, sind die Aussagen von Verdächtigen. Ich hatte noch keine Gelegenheit, es dir zu sagen«, fügte Reed hinzu, »aber ich werde bald für einige Wochen fort sein, in Holland und noch weiter, auf dieser Juristenkonfe-renz, von der ich dir erzählt habe. Sie ist international und wichtig, und ich kann mich leider nicht drücken. In der ersten Zeit werde ich also
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