Der Sturz aus dem Fenster
hier. Gemeinsamer Kaufvertrag, also geht sie an den Ehepartner, und der bin ich. Dann brachte ich ihn dazu, uns ein kleines Liebesnest am Mittelmeer zu bauen, wo er gerne hinfuhr, weil er sich da dem Nahen Osten näher fühlte. Die Hütte gehörte zu unserer Gütergemeinschaft, geht also auch an mich. Dann brachte ich ihn dazu, ein kleines Aktienpaket zu kaufen, Zinsen an mich und – nach meinem Tod – an die ›Kinder‹. Da die ›Kinder‹ nicht viel jünger sind 37
als ich, können sie lange warten, jedenfalls hoffe ich das. Seinen Söhnen hat er einen ordentlichen kleinen Batzen hinterlassen, den ich in Aktien verwandelt hätte, wenn genug Zeit gewesen wäre. Aber irgend jemand hat ihn um die Ecke gebracht. Und eine so blöde Idee war nie auf meinem Mist gewachsen, jedenfalls nicht gerade jetzt.
So, und jetzt wissen Sie Bescheid.«
Kate mußte sich Mühe geben, ihre Gastgeberin nicht mit offenem Mund anzustarren. Erfrischend war in der Tat das richtige Wort für Cecelia. »Sie sind sich also ganz sicher, daß jemand ihn ›um die Ecke brachte‹, wie Sie es ausdrücken. Aber vielleicht wurde er ja gar nicht aus dem Fenster gestoßen, sondern ist in einem Anfall von Verwirrtheit auf den Fenstersims geklettert und hinausgefallen.«
»Ausgeschlossen, Frau Professor. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Er war so vorsichtig wie eine Schildkröte mit eingezogenem Kopf und eingezogenen Füßen. Er hatte panische Angst vor Zugluft und hätte sich niemals mitten im November an ein offenes Fenster gestellt. Nein. Jemand hat ihn rausgeschmissen. Wirklich zu blöd, wenn man’s genau nimmt.«
»Haben Sie Thanksgiving zusammen verbracht?«
»Aber klar doch, Frau Professor. Zusammen mit den Söhnen und den Frauen und Kindern von den Söhnen. Seine beiden Söhne haßten mich, und normalerweise wechselten sie sich mit ihren Thanksgiving-Anstandsbesuchen ab, aber diesmal kamen beide gleichzeitig.
Fragen Sie mich nicht, warum. Fragen Sie mich genauso wenig, warum sie überhaupt kamen. Nicht, weil sie ihren Vater liebten, und auch nicht, weil sie sich Sorgen um ihre Erbschaft machten, das glaube ich nicht. Eher wegen der guten alten Schuldgefühle. Typisch Mittelklasse! Es gehört sich so, daß man ab und zu seinen Vater sehen will. Einmal alle zwei Jahre fanden sie wohl ausreichend, und offen gesagt: ich auch. Warum sie diesmal beide zusammen auf-tauchten – wie gesagt, ich weiß es nicht. Jedenfalls hoffte ich stark, in Zukunft würden sie sich wieder abwechseln – tja, und jetzt brauche ich überhaupt keinen Truthahn mehr mit ihnen zu essen. Wenn das keine schönen Aussichten sind!«
»Und wie stand’s mit Weihnachten?«
»O Tannenbaum, o Tannenbaum und so weiter? Weihnachten verbrachten wir immer in unserer kleinen Hütte am Mittelmeer, warme Sonne, und wir zwei ganz allein. Und der Weihnachtsbraten und Stollen wurden serviert von einer Einheimischen, die uns das Haus putzt und – jedenfalls verglichen mit den Putzfrauen hier – so 38
gut wie nichts dafür bekommt. Die Hütte sollte romantische Kräfte in Canfield wecken, aber ich sag Ihnen offen, in der letzten Zeit hat sich da nichts mehr gerührt. Immerhin konnten wir schmusen. Und keine verdammten Enkel um uns rum. Ich mach’ mir nichts aus Kindern. Sie?«
Kate, die sich ebenfalls nichts aus ihnen machte, beschloß, die Frage zu ignorieren. »Cecelia«, sagte sie, »ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen. Wenn alle, mit denen ich noch sprechen werde, so frank und frei sind wie Sie, werde ich die Sache in einer Woche auf der Reihe haben. Waren Sie bei der Polizei genauso offen?«
»Wofür halten Sie mich? Von Frau zu Frau ist eine Sache, die dämliche Polizei ’ne andere. Ich saß da, wie’s sich für ’ne anständige Witwe gehört, wischte mir eine Träne aus den Augen und sprach von dem großen Schock, den ich erlitten hatte. Natürlich war es wirklich ein Schock gewesen, ich brauchte also gar nicht besonders zu schau-spielern. Mit Ihnen kann ich offen reden, denn wenn Sie mich ir-gendwem zitieren, leugne ich einfach alles und nenne Sie eine Lügnerin, in sowas bin ich gut.«
»Was hielten Ihrer Meinung nach die meisten Leute von Ihrem Mann?«
»Für einen Scheißkerl hielten sie ihn, was er auch war. Aber man konnte ihm beikommen, man mußte ihm nur genug um den Bart gehen. Ich hab einmal ein Zitat von einem Engländer, irgendeinem Politiker, gehört, der gesagt hat: ›Man schmeichelt allen Menschen, und bei königlichen Hoheiten trägt man
Weitere Kostenlose Bücher