Der Sturz aus dem Fenster
zusammen war?«
»Meine mütterliche Art, meine rundliche Gestalt und die Tatsache, daß ich sehr klug bin und sexuell nicht konkurriere.«
»Ich leugne, daß ich je etwas Mütterliches gesucht und geschätzt hätte.«
»Das kommt daher, weil du bei Mütterlichkeit immer an deine eigene Mutter denkst oder die Mütter deiner Kindheitsfreundinnen.
Es gibt etwas, das alle Frauen an einem älteren, intelligenten und tröstlichen weiblichen Wesen schätzen. Die Frauen wissen nur nicht, wie sie dieses Tröstliche definieren sollen, weil sie es so selten finden und weil das Wort Tröstlichkeit nach Mangel an Verstand klingt.
Aber schließlich ist es Trost, den sich fast die ganze Welt von Gott und Jesus erhofft, um nur die naheliegendste Gottheit zu nennen.
Und wirklichen Trost, vereint mit Intelligenz und Macht, finden Frauen nicht bei Männern.«
»Das ist doch nicht dein Ernst, Edna? Das will ich einfach nicht glauben.«
»Halbernst. Denk darüber nach. Dann wirst du verstehen, was ich 85
meine; sogar du. Wie viele ältere Frauen gibt oder gab es in deinem Leben, die wirklich Macht haben, deren Verstand du respektierst und die es wert sind, geliebt zu werden?«
»Schon gut. Du hast recht, ein bißchen jedenfalls.« Kate nahm einen Schluck Wein und lächelte ihre Freundin an. Wie sollte man Edna beschreiben? Sie war kompakt, nicht dick, auch nicht stämmig
– nein, doch, stämmig war wohl das richtige Wort. Sie konnte sehr strikt und sachlich sein, ließ sich von niemandem zum Narren halten, hatte kein Interesse an Kleidung, die in ihrem Fall meistens aus Kostüm, Strumpfhosen und möglichst bequemen Schuhen bestand, die den Namen Pumps gerade noch verdienten. Sie hatte ein Lächeln, das ihr Gesicht und den ganzen Raum erstrahlen ließ – und falls das ein Klischee war, so war Edna dazu geboren, es zu bewahrheiten.
Ihre Lesebrille hing an einer Kette um ihren Hals, was verhindern sollte, daß sie sie absetzte und irgendwo vergaß, aber meistens hatte Edna sich ihre Brille auf ihr kurzes, glattes, graues Haar geschoben.
Während Kate sie betrachtete, wurde ihr jäh klar, daß das, was sie für Edna empfand, zweifellos Liebe war. Es war Freundschaft und Zuneigung und Kollegialität, aber es war auch Liebe. Und das war eine erstaunliche Sache. Konnten Ednas viele Kinder und lange Ehe damit zu tun haben – die Großzügigkeit, mit der sie all die Jahre ihr Haus für die Freunde ihrer Kinder offen gehalten hatte? Bitte nicht, dachte Kate. Viel eher wünschte sie sich, daß Ednas kluges Einfühlungsvermögen, ihre Einsicht in die Machtverhältnisse und ihr Um-gang mit Macht die Hauptrolle spielten. Edna fürchtete sich nicht davor, Macht auszuüben. Und vielleicht liebe ich sie, dachte Kate, weil sie es nicht nötig hat, zu manipulieren, wenn sie etwas will.
Am nächsten Tag traf sich Kate mit der jungen Schwarzen, von der Humphrey Edgerton an dem Abend vor Reeds Abreise gesprochen hatte. Als Arabella, die mit Nachnamen Jordan hieß, Kates Büro betrat, legte sie, aus welchen Gründen auch immer, eine übertriebene Unterwürfigkeit an den Tag, die offenbar nicht ernst gemeint war. Kate verstand die Botschaft sofort und kam zu dem Schluß, daß weniger Gefahr darin lag, autoritär zu wirken, als sich verständnisvoll zu geben. Das Problem war, daß es keinen sicheren Boden gab, auf dem beide sich hätten begegnen können. Kate mochte in dieser Umgebung entspannt sein und Arabella vielleicht so tun, aber nur eine von beiden würde sie selbst sein. Zornig wäre Arabella ihrem wahren Selbst wahrscheinlich viel näher, und mit dem wollte Kate in Berührung kommen.
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»Professor Edgerton hat dieses Gespräch vorgeschlagen«, begann Kate. »Er sagte, Sie wüßten, worum es geht.«
»Humphrey hat es mir erklärt. Nennen Sie mich Arabella, und ich sage Kate. Okay?«
Kate nickte. Es war keine Frage, wer bei diesem Gespräch das Heft in der Hand haben würde. Kates Hoffnung beschränkte sich darauf, die Richtung von Zeit zu Zeit ein wenig lenken zu können.
Sie wußte daß sie Arabella als Gegnerin erscheinen mußte und daß die junge Frau damit nicht ganz im Unrecht war.
Ein Zeuge hatte sich gemeldet und gesagt (nicht zu Kate, sondern zu jemandem aus der Verwaltung, wovon Kate durch Matthew Noble erfuhr), Arabella sei an dem Samstag von Adams’ Tod in der Levy Hall gesehen worden – nicht mit Adams zusammen, sondern, laut der Botschaft, die Kate erreichte, »wie sie über die Flure schlich«.
Kate hatte nach
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