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Der Sturz - Erzählungen

Der Sturz - Erzählungen

Titel: Der Sturz - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Handtasche und puderte sich, was sie sonst im Verlaufe einer Sitzung noch nie gewagt hatte. A sagte immer noch nichts, griff immer noch nicht ein, schien immer noch gleichgültig. B und C, einander gegenüber, die A am nächsten 33

    saßen, blickten sich an, schnell und wie zufällig, wie N bemerkte, der Außenminister strich sich dabei über seinen sorgfältig gestutzten Schnurrbart. Der Chef der Geheimpolizei schob seine Seidenkrawatte zurecht und fragte kühl, ob F mit dem Unsinn zu Ende sei, das Sekretariat habe zu arbeiten. N
    überlegte aufs neue, ob nicht B und C im geheimen verbündet sein könnten. Sie galten als Feinde, doch hatten sie vieles gemeinsam: die Bildung, die Überlegenheit, ihre Abstammung von bekannten Familien des Landes. C’s Vater war Minister in einer bürgerlichen Regierung gewesen, und B war der illegiti-me Sohn eines Fürsten, auch hielten ihn einige wie C für homosexuell. Die Möglichkeit einer geheimen Übereinkunft zwischen den beiden fiel N jedoch auch darum zum zweiten Mal ein: mit dem Vorwurf, den C an den Minister für die Schwerindustrie richtete, kam er offensichtlich B zu Hilfe und nicht nur dem Außenminister, auch D und M, sogar L wurden von ihm unterstützt. F, verwirrt durch diese Niederlage, um so mehr als er wohl geglaubt hatte, C auf seiner Seite zu finden, antwortete kleinlaut, er müsse ins Ministerium telefonieren, dringend, es sei ihm peinlich, irgendeine unglückliche Angelegenheit verlange seine Entscheidung. A erhob sich. Er ging gemächlich zum Buffet hinter ihm, schenkte sich sorgfältig Kognak ein, blieb stehen. Er sagte, telefonieren könne F im Vorzimmer und auch L solle schleunigst verschwinden und wenigstens ins Spital telefonieren, er ordne einen Unterbruch der Sitzung für fünf Minuten an, denn, daß die Sitzung nach diesen läppischen und rein persönlichen Angriffen nicht abgebrochen werden könne, verlange die Parteidisziplin, doch dann wolle er nicht mehr gestört werden, wer denn dieser Esel von einem Oberst sei. Ein Stellvertreter, antwortete der Chef der Geheimpolizei, der alte Oberst sei im Urlaub, aber er werde den Kerl noch einmal informieren. Er zitierte den Oberst durch die Sprechanlage herbei. C befahl dem Oberst, der salutierend wieder erschien, er solle sich nicht mehr blicken lassen, kom-34

    me was da wolle. Der Oberst zog sich zurück. Weder F noch L
    verließen den Raum, sie blieben sitzen, als ob nichts geschehen wäre. D grinste den Minister für die Schwerindustrie an, erhob sich, trat zu A und goß sich ebenfalls Kognak ein, fragte, was denn nun sei, warum F nicht ins Vorzimmer gehe, zum Teufel, wenn das Ministerium für die Schwerindustrie schon eine Sitzung des Politischen Sekretariats stören lasse, müsse doch dort die Hölle los sein; es sei zwar lobenswert, wie seinem Freunde F das Wohl des Staates und der Revolution am Herzen liege, aber gerade für dieses Wohl sei es wünschenswert, wenn er sich endlich um seine Pflicht kümmere und sich schleunigst mit seinem Amte in Verbindung setze, es sei niemand gedient, wenn die Schwerindustrie in Unordnung gerate.

    N überlegte. Das Wichtigste schien ihm, daß A sich plötzlich entschlossen hatte, die Sitzung des Politischen Sekretariats weiterzuführen. Der Hinweis auf die Parteidisziplin war eine Phrase, das mußte jedem einleuchten. Eine Abstimmung hatte bis jetzt noch nie stattgefunden, man hatte schweigend zuge-stimmt, das Kräfteverhältnis zwischen den beiden feindlichen Gruppen innerhalb des Politischen Sekretariats war zu ausge-glichen gewesen. Auch hatte es A jederzeit in der Hand, die Frage vor den Parteikongreß zu bringen und das unpopuläre Politische Sekretariat auf diese Weise öffentlich zu liquidieren.
    A’s Entschluß mußte einen ändern Grund haben. Es mußte ihm klar geworden sein, daß er einen Fehler gemacht hatte, indem er gleichzeitig das Politische Sekretariat hatte säubern und aufheben wollen. Er hätte es zuerst säubern und dann aufheben, oder erst aufheben und dann die einzelnen Mitglieder liquidieren sollen. Nun stand er einer Front gegenüber. Mit der Verhaftung O’s hatte er voreilig alle gewarnt, die Weigerung L’s und F’s, den Raum zu verlassen, waren Zeichen, daß sich alle fürchteten. Vor dem Parteikongreß war A frei und allmächtig, innerhalb des Politischen Sekretariats war er, wie alle ändern 35

    Mitglieder, ein Gefangener des Systems. Hatte man Furcht vor A, so mußte A, wenn auch nicht Furcht, die er nicht kannte, so doch

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