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Der Sturz - Erzählungen

Der Sturz - Erzählungen

Titel: Der Sturz - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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einem Blitzstrahl entzwei-spalten, aber weil er ja kein Gott war, sondern wie Smithy bloß ein Mensch, wenn auch ein ungleich wichtigerer, gesellschaft-lich, geschichtlich, auch in Hinsicht auf Bildung, Vermögen und überhaupt, blieb die Wut im berühmten, vielleicht etwas zu aufgedunsenen Gesicht des doch eher dünneren Repräsentanten der Geschichte im weinroten Pyjama hinter dem Schreibtisch nur sekundenlang, genauer, den Bruchteil einer Sekunde lang sichtbar, noch genauer, ahnbar, und dann lächelte er Smithy geradezu freundlich an: »Die Leiche ist meine Frau.« Smithy studierte das aufgedunsene rote Gesicht des berühmten Mannes hinter dem Schreibtisch und kam immer noch nicht darauf, wessen Landes Staatspräsident oder Ministerpräsident oder Außenminister oder Kanzler oder Vizekanzler er war oder wie der Job auch hieß, wenn er überhaupt ein Politiker war und nicht ein berühmter Großindustrieller oder Bankier oder vielleicht nur ein Schauspieler, der in einem Film einen Staatspräsidenten oder Außenminister gespielt hatte, weshalb ihn Smithy jetzt verwechselte, aber es war Smithy plötzlich gleichgültig, der hinter dem Schreibtisch war der Mann der Frau, mit der Smithy geschlafen hatte, kaum eine Stunde vor dem Morgen, der sich hinter den großen Fenstern nun schon wieder zu einer blendend weißen Wolke verdichtete, in die zu tauchen es höllischer noch als tags zuvor sein würde. »Wer hat sie getö-
    tet?« fragte Smithy mechanisch. »Ich«, antwortete der Mann hinter dem Schreibtisch gelassen. »Weshalb?« fragte Smithy.
    Der hinter dem Schreibtisch schwieg, rauchte. »Sie wollen mich wohl verhören?« stellte er fest. »Ich muß mich entscheiden«, sagte Smithy. Der Typ im weinroten Pyjama ließ die Zigarette in einem runden Emailaschenbecher verschwinden, öffnete die grüne Schachtel, zündete sich eine neue Zigarette an, alles ohne Hast, ohne Verlegenheit, irgend etwas nachsin-91

    nend, sich dann Smithy zuwendend. »Ich habe die Nerven verloren«, sagte er dann, lächelte und schwieg, betrachtete Smithy plötzlich neugierig. »Meine Frau«, fuhr er fort, sorgfältig ein Wort um das andere wählend, in seinem Schulbuchenglisch, das Smithy nur von englischen Filmen her kannte, das vielleicht auch gar kein Schulbuchenglisch war, sondern ein Englisch, von irgendeiner europäischen Sprache grob verfärbt, das sich aber natürlich gegenüber dem Englisch, das Smithy sprach, wie klassisches Englisch ausnahm, wie sich Smithy plötzlich bewußt wurde, er wußte nicht, warum er sich darüber ärgerte. »Meine Frau verließ vor zwei Tagen dieses Haus. Sie schlief seitdem wahllos mit vielen Männern, sagte sie, als sie diesen Morgen ins Hotel zurückkehrte. Kurz nach vier. Oder gegen halb fünf.« Der Kerl hinter dem Schreibtisch beobachtete Smithy amüsiert, und Smithy dachte, eigentlich hätte er sich Holy auch so vornehm wie diesen da hinter dem Schreibtisch vorstellen können, und so eine Visage wie diese da, rot und aufgedunsen über dem weinroten Pyjama, gäbe es tausendfach.
    »Deshalb haben Sie Ihre Frau erwürgt«, stellte Smithy fest. Sie müsse ihm doch aus irgendeinem Grunde davongelaufen sein.
    Die Type hinter dem Schreibtisch lächelte. »Sie wollte mich bloß ärgern«, sagte er. »Und es ist ihr gelungen. Ich habe mich geärgert. Zum erstenmal in meinem Leben.« Die Visage hinter dem Schreibtisch kam Smithy ekelhaft vor. »Zum erstenmal in meinem Leben«, wiederholte er, gähnte und fragte: »Wieviel?«
    »Fünfhunderttausend hat er mir gesagt«, antwortete Nick anstelle Smithys. »Gehen Sie nicht darauf ein, eine Schweinerei, ich werde den Scheißkerl verhaften lassen.« »Schön«, sagte die schäbige Ratte hinter dem Schreibtisch, »fünfhunderttausend.« »Wenn Sie durchaus wollen«, sagte Nick, »bin ich machtlos.« »Nein«, sagte Smithy. »Eine Million«, lächelte die lausige Wanze im weinroten Pyjama, Nick starrte sie verdattert an, strahlte. »Ihre Frau lasse ich gratis verschwinden«, sagte Smithy zur schäbigen Laus hinter dem Schreibtisch, ohne recht 92

    zu wissen, was er sagte, während er an die Tote dachte, vielleicht acht, neun, zehn Meter von ihm entfernt hinter den Wänden auf den Laken des Himmelbetts. Er dachte an ihre Schönheit und wie sie ihn mit ihren toten Augen angestarrt hatte, und dann sagte er, indem er sich erhob: »Von Ihnen nehme ich nichts!« Er verließ das große Zimmer, das Apartment, schaute sich in der Halle mit dem grünen Teppich kurz um, der

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