Der Suender und die Lady
…“ Sie brach ab, und Regina sah die vertraute Verschwommenheit in den Zügen ihrer Mutter, die ihr verriet, dass sie Trost bei einem alten Freund gesucht hatte. „Ich war schon sicher, dass wir zurück zum Berkeley Square gebracht würden. Ich kann nicht dorthin zurück, Regina. Ich sterbe, wenn ich dorthin zurückmuss. Dort sterbe ich schon lange vor mich hin.“
„Ach, Mama …“ Regina griff nach dem Badelaken, das neben der Wanne lag, und stand auf. Sie wusste nicht, was sie zu ihrer Mutter sagen wollte oder konnte.
Sie hätte sich keine Sorgen machen müssen.
Seufzend schüttelte Lady Leticia den Kopf. „Ich wollte sie einschnüren lassen, weißt du?“, sagte sie mit starrem Blick auf Reginas bloße Brüste. „Wie sie es nach deiner Geburt mit mir gemacht haben. Dein Vater bestand auf einer kräftigeren Amme, die seiner Meinung nach mehr Milch hatte als ich. Vielleicht hätte es geholfen. Ammen sind bekanntlich obenherum großzügiger ausgestattet. Andere Unterschichtmädchen auch. Es gehört sich nicht, dass meine eigene Tochter … Tja, ich gebe Großmutter Hackett die Schuld.“
Regina wickelte sich rasch in das Badelaken, bevor ihre schön geschwungenen Hüften die Aufmerksamkeit ihrer Mutter auf sich ziehen konnten, denn die zählten auch zu ihren körperlichen Makeln. Ihre wenig damenhafte Größe, eine weitere Quelle der Sorge für ihre Mutter, ließ sich nicht verbergen, doch sonst tat Regina, was sie konnte. „Ja, Mama“, sagte sie. „Es tut mir so leid.“
Lady Leticia tat diese Entschuldigung mit einem Wink der Hand ab, in der sie das halb volle Weinglas hielt. Als wäre sie überrascht, es dort zu entdecken, leerte sie das Glas in einem langen Zug. „Nein, nein, es ist nicht deine Schuld. Ich glaube, aus irgendeinem Grunde spricht es Männer an, aber deine Schneiderin hat mir anvertraut, dass es bedeutend einfacher ist, weniger gut bestückte Frauen auszustatten. Was nicht heißt, dass eine Schneiderin in dieser Hinsicht ein Wörtchen mitzureden hat.“ Sie runzelte die Stirn, als forschte sie in ihrem Gedächtnis nach etwas Vergessenem. „Wolltest du sonst noch etwas, Regina?“
„Nein, ich glaube nicht, Mama“, antwortete Regina und war ohne sich dafür zu schämen dankbar für den Wein, der eindeutig bereits anfing, ihre Mutter milder zu stimmen und zu verwirren. „Es ist schon weit nach drei, oder? Du bist doch sicher sehr müde?“
Lady Leticia schob ihr Haar hoch, denn dank Hanks’ zwangsläufig hastigem Einsatz, als sie den Frauen beim Ankleiden für die kurze Fahrt zur Half Moon Street half, begann ihre Frisur sich aufzulösen. „Ja, ich glaube schon.“ Sie blickte in ihr leeres Glas und runzelte erneut die Stirn. „Ich ziehe mich jetzt lieber in mein sogenanntes Schlafzimmer zurück. Gute Nacht, Liebling.“
„Gute Nacht, Mama.“ Es gelang Regina, zu lächeln, bis ihre Mutter das Zimmer verlassen hatte, doch als die Tür sich schloss, verlor sie die Beherrschung und sie schaffte es nur knapp, zum Bett zu wanken und sich darauffallen zu lassen, bevor sie in Tränen ausbrach.
Sie weinte um Miranda. Um all die Frauen, die je ihrem Vater in die Hände gefallen waren … Aus der Mitte aller gerissen wurden, die sie kannten und liebten, in Ketten gelegt, an den Meistbietenden verkauft. Oder ertränkt wurden wie unerwünschte junge Katzen. Sie weinte um ihre Mutter, die ihr gesamtes Leben als verheiratete Frau in Angst verbracht hatte, weinte um all die vergeudeten Jahre, um ihre vergeudete Jugend. Sie weinte um sich selbst, wohl wissend, dass es nicht recht war, dass es egoistisch war. Sie weinte um Puck, der sich in so große Gefahr begeben hatte. Sie weinte, bis sie nicht mehr wusste, warum sie weinte. Sie konnte einfach nicht aufhören.
Sie spürte die Berührung einer Hand an ihrer Schläfe, die ihr sanft das Haar von den nassen Wangen strich, und zuckte heftig zusammen, beruhigte sich jedoch, als sie Pucks Stimme dicht an ihrem Ohr vernahm. „Schon gut, Liebes“, murmelte er leise. „Schon gut. Ich verspreche dir, alles wird gut.“
Er legte sich zu ihr aufs Bett, schmiegte seine lange Gestalt an ihren Rücken, zog Regina an sich, nahm ihr den Schmerz, hielt sie mit seiner Kraft.
„Nichts wird gut“, flüsterte sie. „Auch nicht, wenn wir Miranda finden. Sie wird nie wieder dieselbe sein, Puck. Niemand von uns wird je wieder so sein wie früher. Wie sollten wir denn?“
Puck legte einen Arm um ihre Taille. Sein Mund war immer noch nahe an ihrem Ohr.
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