Der Suender und die Lady
ist Muskelkraft, rohe Gewalt gefordert.“
Du hast also doch etwas zu verlieren, Jack. Deinen jüngeren Bruder, dem du in den vergangenen Jahren aus dem Weg gegangen bist, genauso, wie du Beau und unsere Eltern gemieden hast. Wovor hast du Angst, Jack? Was hast du verloren, dass du dich fernhältst, dich isolierst und dir keinerlei Emotionen gestatten willst?
„Ich wiederhole es. Du warst schon immer ein arroganter Mistkerl, nicht wahr?“, sagte Puck ungerührt. „Sag mir Bescheid, wenn du genug posiert hast und wir die Sache ins Rollen bringen können. Mir läuft der Regen in den Kragen.“
Jacks Lächeln leuchtete kurz in seinem dunklen Gesicht auf. „Ich mag dich wirklich, Bruderherz. Allmählich glaube ich, ich habe viel versäumt, indem ich dich und Beau in diesen letzten Jahren nicht besser kennengelernt habe.“
Puck zögerte nicht, es sich zunutze zu machen, dass sein Bruder sich ein wenig öffnete. „Beau und ich haben dich nicht gemieden, Jack, und die Vergangenheit ist nicht die Zukunft. Wenn das hier ausgestanden ist, reisen wir alle nach Blackthorn. Es ist Jahre her, dass wir alle beisammen waren.“
„Puck, jetzt ist nicht der rechte Zeitpunkt für Gespräche über Familientreffen.“
Jack hatte recht. Es war nicht der richtige Zeitpunkt und angesichts von Wind und Regen, der sie schier ertränken wollte, auch nicht der richtige Ort. Doch Puck wusste, dass er eine Pflicht zu erfüllen hatte; vielleicht war es der Dichter in ihm, wie Jack gesagt hatte. „Vater hat Beau einen Landbesitz gegeben, weißt du. Zur freien Verfügung. Und mir im vergangenen Jahr ebenfalls. Du weißt, dass es ihm am Herzen liegt, uns alle gut zu versorgen. Lass ihn, Jack. Lass ihn. Lass ihn Abbitte oder was auch immer er will dafür leisten, dass er unsere Mutter nicht geheiratet hat. Es könnte sein, dass du es viele Jahre lang bereuen musst, wenn du es nicht tust.“
Jack schwieg einen Moment. „Ich überlege es mir“, sagte er schließlich. „Du bist schlimmer als eine Ehefrau, weißt du das?“
„Das ist der arrogante Jack, den ich nicht richtig kenne, aber eines Tages unbedingt besser kennenlernen will. Gut, ich bin jetzt fertig. Aber zunächst einmal, wer ist unser Schwertkämpfer, oder ist das etwas, was ich wirklich nicht wissen muss?“
Jack warf einen Blick über die Schulter zurück und lächelte Puck an. „Du kennst ihn bereits. Wenn wir schon einmal so leichtfertig mit dem Wort ‚arrogant‘ um uns werfen: Ich glaube, du wolltest ihn diese Woche einmal gehörig piksen und mit deinen in Frankreich erworbenen Fechtkünsten aufschneiden. Etwas, wovor ich dich im Übrigen nachhaltig warnen möchte.“
„Will Browning?“, fragte Puck und spähte in die Dämmerung. „Henry und Dickie haben mich auf dem Maskenball mit ihm bekannt gemacht. Sag jetzt nicht, Viscount Bradley lauert auch noch irgendwo in der Dunkelheit.“
„Wohl kaum. Ich schätze, er fürchtet sich vor seinem eigenen Kammerdiener. Und wenn du nicht lieber noch hierbleiben möchtest, um Wellingtons Strategie für seinen letzten Feldzug oder den gelungenen Schnitt deiner besten Weste zu diskutieren, schlage ich vor, dass wir aufbrechen. Bei diesem Unwetter ist die Dämmerung wohl kein Problem, aber die Flut könnte sich als störend erweisen.“
„Du hast mich wohl in der Hand“, sagte Puck. Er salutierte reichlich spöttisch in Will Brownings Richtung, drehte sich dann um und stieg auf die Ladefläche des Wagens. Kein Theaterstück? Merkte Jack denn nicht, dass er selbst der größte Schauspieler von ihnen allen war?
Im Wageninneren kniff Puck die Augen zusammen und spähte in die beinahe undurchdringliche Finsternis. Es roch kräftig nach Ale, wahrscheinlich die übliche Fracht des Wagens, doch Reginas Gesicht blieb in der Dunkelheit verborgen, und er konnte es nicht deutlich erkennen. Er fand ihre Hand und drückte sie, und sie erwiderte den Druck, doch beide sprachen kein Wort, als die Bierkutsche sich holpernd in Bewegung setzte.
Es ging los. Das war es, es war ihre letzte Chance, und sie wussten es beide. Wenn sie Miranda nun nicht fanden? Wenn das Mädchen womöglich schon tot war? Oder den Verstand verloren hatte – und das lag eindeutig im Bereich des Möglichen. Wenn Hackett sich nun in den Höhlen aufhielt und einen Kampf provozierte? Regina mochte ja sagen, dass sie ihrem Vater den Tod wünschte, aber was, wenn sie Zeugin seines Sterbens wurde?
In ihrem Kopf dürften sich momentan die Gedanken überschlagen.
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