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Der sueße Kuss der Luege

Der sueße Kuss der Luege

Titel: Der sueße Kuss der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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der sich immer noch hektisch hoch- und runterbewegte.
    »Hey, das war ein Witz«, sagte der ältere schließlich und setzte sich mit einem Ächzen auf. »Jo, du glaubst doch nicht wirklich, dass ich so etwas tun würde? Dir haben sie ja so was von ins Hirn geschissen.« Er schüttelte den Kopf, wischte sein Messer an dem nassen T-Shirt ab, obwohl er es weder dazu benutzt hatte, der Katze den Schwanz abzuschneiden, noch zu sonst etwas. Dann klappte er es zusammen, hob seinen Hintern ein kleines Stück vom Gras hoch und stopfte das Messer in die hintere Tasche seiner Jeans. Schließlich riss er einen Grashalm aus und kaute daran herum.
    »Kleiner«, er spuckte den Halm angewidert wieder aus, »was haben sie dir denn erzählt, warum ich hier bin?«
    »Nichts.« Jo antwortete viel zu schnell und wusste sofort, dass das ein Fehler war. Der ältere würde nicht lockerlassen, dabei hatte Jo nur wenig gehört, als er an der Tür gelauscht hatte. Seine Pflegeeltern hatten darüber gestritten, ob man noch einen Jungen aufnehmen oder ablehnen sollte. Seine Pflegemutter war dafür, sie wollte das Geld, das sie dann kassieren konnten, doch sein Pflegevater hielt dagegen. Er wollte lieber Mädchen, weil man die besser unter Kontrolle hatte als so einen Verbrecher wie den, der ihm gerade in die Eier getreten hatte.
    Aber seine Pflegemutter hatte sich wie meistens durchgesetzt. Mutter! Jo schüttelte sich innerlich. Er musste Mutter zu ihr sagen, obwohl sie das gar nicht war. Seine echte Mutter war schön und zart und klug wie eine Prinzessin und nicht so eine fette, ungewaschene Schlampe, die säuerlich roch. Einen Vater hatte er nie gehabt, den hatten die Prinzessin und er auch nicht vermisst. Und seit er an diesen hier geraten war, wusste er auch, wie recht die Prinzessin gehabt hatte.
    Man brauchte keine Väter. Die waren nicht nur grob in dem, was sie sagten, sondern schreckten auch vor Schlägen nicht zurück. Aber besonders widerlich war die Art, wie dieser sogenannte Vater seine drei Schwestern anglotzte, wenn er dachte, es würde keiner sehen. Jo war sicher, dass er sie zwar gern betatschen würde, sich aber nicht traute, weil er viel zu viel Schiss hatte, ihm könnte das Jugendamt auf die Pelle rücken. Für so etwas hatte die Tussi vom Amt einen guten Riecher. Leider nur dafür. Es interessierte sie nicht die Bohne, dass sein Pflegevater ihn prügelte, wann immer er Lust dazu hatte. Seine blauen Flecke oder Striemen wurden mit Jungsbalgereien erklärt und damit hatte es sich. Und die Frau, die er Mutter nennen sollte, mischte sich nie ein, wenn sein Pflegevater ihn schlug.
    Ihr war Jo verdächtig. Es machte sie nervös, dass er so still war und so wenig mit ihr redete. Sie behauptete zwar gegenüber dem Jugendamt, sie fände es wunderbar, dass wenigstens einer ihrer Schützlinge so vernünftig war, in der Schule der Beste sein zu wollen, aber insgeheim ärgerte es sie. Sie unterstellte ihm, dass er sich für etwas Besseres hielt. Es machte ihr Spaß, ein nasses Glas auf Jos Hausaufgaben abzustellen oder ein paar Tropfen Kaffee auf seinem peinlich sauberen und eselsohrfreien Heft zu verschütten. »Uuups!«, sagte sie dann, hoffte darauf, dass er ausrastete, aber den Gefallen tat er ihr nie.
    Und jetzt hatte Jo also diesen Bruder. Pflegebruder. Er setzte sich auf und betrachtete ihn von der Seite. Die blonden Haare des älteren waren so kurz geschnitten, dass er von Weitem wie kahl geschoren aussah. Er hatte Arme, die Jo viel zu lang für den schlaksigen Körper vorkamen. Trotzdem hatte er viel Kraft und Jo wusste, ihr Vater würde ihn niemals anfassen. Angeblich war er ein aggressiver Problemfall, den keiner haben wollte. Und die Pflegeeltern kassierten besonders viel Geld für ihn ein.
    Jos Zunge klebte am Gaumen und er wünschte sich sehnlichst eine eiskalte Cola, aber so etwas gab es natürlich nie. Nur widerwärtig klebrigen und lauwarmen Eistee. Außerdem wollte er noch nicht wieder zurück ins Haus, wo die Luft noch schwüler war und es immer nach ungewaschenen Socken roch. Er fragte sich, wie der ältere über die Pflegefamilie dachte.
    Seiner Mutter, also der falschen, nicht der Prinzessin, war es wichtig, dass sie so taten, als wären sie eine richtig nette Familie, und sie wollte, dass er die drei Mädchen als seine Schwestern akzeptierte und sie ihn als Bruder.
    Und er gab sich auch Mühe, sie taten ihm leid, schließlich hatten sie nie eine Prinzessin als Mutter gehabt so wie er. Zehn Jahre lang hatte er seine

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