Der sueße Kuss der Luege
Winnetou und quäle keine Katzen und wer bist du?«
»Blöde Frage. Old Shatterhand.« Der ältere ritzte ihm den Daumen an, forderte ihn auf, es auch bei ihm zu tun, dann legten sie ihre blutenden Daumen aneinander und sahen zu, wie ihr Blut auf das Gras tropfte. Keiner sagte etwas, aber Jo war klar, dass hier etwas Mächtiges im Gange war.
Lu am Donnerstag, dem 7. Juni 2012, Fronleichnam, 8:00 Uhr
J etzt komme ich zum schwersten Teil, den ich aufschreiben muss, zu dem, was heute passiert ist. Ich weiß nicht, ob ich es ertragen kann, das Ganze noch einmal zu durchleben, aber ich muss mich einfach zwingen, weil es da vielleicht helfen kann.
Kurz bevor ich zu Christian und Yukiko aufbreche, deren Flieger um halb elf Uhr nach Hongkong geht, rufe ich Diego an, obwohl er mich ja gebeten hat, das nicht zu tun. Ich halte das tagelange Schweigen von ihm nicht mehr aus. Vor mir selbst rechtfertige ich diesen Anruf damit, dass er erfahren muss, wo er mich erreichen kann, aber in Wahrheit will ich einfach wissen, was los ist. Er ist sofort dran, klingt sehr genervt und hat mich in wenigen Sekunden abgewimmelt wie eine lästige Zecke.
Voller Wut packe ich meine Sachen zusammen und fahre in die Penthousewohnung meines Bruders. Der alte Schubert, der hinter seinem Portierstresen sitzt, begrüßt mich in überschwänglichem Hessisch, als wäre ich seine lang verschollen geglaubte Erbtante, was mich gegen meinen Willen zum Lachen bringt.
»Morsche, junges Froilleinsche, welsch ein Glanz in unserä Hitt.«
Er wedelt fröhlich mit seiner dunkelblauen Uniformmütze, kommt unablässig salbadernd hinter dem Tresen hervor und holt den Privataufzug meines Bruders herunter, dabei verströmt er aus jeder Pore den säuerlichen Geruch nach Äppelwoi. Wenn der alte Schubert wüsste, dass er es Yukiko und nicht Christian zu verdanken hat, dass er noch nicht gefeuert wurde, wäre er netter zu ihr. Yukiko verteidigt ihn nämlich immer, wenn er mal wieder etwas vergessen hat oder sich die anderen Mieter, die in den Luxuswohnungen unter dem Penthouse wohnen, über ihn beschweren. Der arme alte Mann sei zwar ein Trinker, aber er brauche den Job und könne dabei auch nicht viel falsch machen. So ist Yukiko eben, immer sehr hilfsbereit und voller Verständnis. Sie war es auch, die Andrea den Job als Haushälterin angeboten hat, als die Money-Bank hundert Arbeitsplätze, darunter auch den von Andrea, wegrationalisieren musste. Christian war dabei eine der treibenden Kräfte, was einen ständigen Streit mit Sebastian provoziert hat, der fand, Christian wäre ein unerträglich asoziales Bonzenarschloch geworden. Ich konnte Sebi damals schon verstehen, andererseits fand ich es heuchlerisch, denn seine kritischen Kommentare hinderten meinen Bruder nicht daran, sich Christians Bonzen-Auto auszuleihen.
In der Wohnung erwartet mich schon Yukiko. Ida schläft noch und mein Bruder macht sich gerade reisefertig, erklärt sie mir. Sie legt ihre schmalen Arme um mich, tritt zurück und bewundert mein Kleid, das ich aus dem blauen Paisleystoff vom Flohmarkt genäht habe. Sie selbst würde so etwas nicht mal als Nachthemd anziehen, aber sie behandelt mich wie immer so respektvoll, als wäre ich, eine siebzehnjährige Abiturientin, ihr, einer vierunddreißigjährigen klugen Schönheit, Karrierefrau und Supermutter, absolut ebenbürtig. Sie hat mir einmal gesagt, die erste Regel bei Karate wäre für sie so einleuchtend, dass sie ihre Maxime für jegliches Handeln geworden wäre: Karate beginnt mit Respekt und endet mit Respekt.
Jedes Mal, wenn ich mit ihr rede, frage ich mich, wie mein langweiliger Bruder es geschafft hat, sich diese Traumfrau zu angeln.
Nachdem ich meine Tasche ins Gästezimmer gebracht habe, hakt sich Yukiko bei mir ein und geht mit mir zur unteren Dachterrasse. Wir setzen uns auf die ausladenden Loungechairs in die Morgensonne.
Andrea, die ich seit dem Flohmarkt nicht mehr gesehen habe, begrüßt mich mit einem warmen Lächeln und gratuliert mir auch zu dem neuen Kleid. Seit sie mir bei Ebay alte Stoffe besorgt, haben wir einen Draht zueinander, etwas, worüber wir reden können. Jetzt allerdings ist sie sehr zurückhaltend, was bestimmt an Yukiko liegt, die der Meinung ist, dass man freundliche Distanz zu seinen Hausangestellten wahren sollte. Sie weiß nicht, dass Sebastian sich, wann immer er in der Penthousewohnung ist, nach Strich und Faden von Andrea verwöhnen lässt. Er kommt natürlich nur, wenn Yukiko und Christian nicht da
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