Der sueße Kuss der Luege
nur eine kalte Dusche, nein, mein Herz ist im freien Fall direkt auf einem Eisenzaun mit Speerspitzen gelandet. Durchbohrt von den Schwertern des Zweifels. Sollte das der vorsichtige Rückzug aus meinem Leben werden? Aber warum dann dieses Wochenende? Um einfach nur Spaß zu haben und mich dann fallen zu lassen?
»Hey, Lu, wenn dieser Einsatz vorbei ist, dann fahren wir wieder weg, aber für länger!« Er lenkt das Auto auf den Seitenstreifen der Autobahn, bremst, schnallt sich ab, beugt sich zu mir, legt seine muskulösen Arme um mich und drückt mich fest an sich. Ich sauge seinen Geruch nach Zitronengras und Lakritz ein, als wäre es das letzte Mal.
»Lu, du brauchst keine Angst zu haben, ich melde mich bestimmt.« Er klingt ein bisschen heiser. »Ich kann gar nicht anders. Schließlich hast du mich verhext.«
Dann küssen wir uns, was immer noch die gleichen Sensationen in meinem Körper auslöst wie beim ersten Mal. Trotzdem bin ich danach voller Wehmut. Während des langen Wochenendes sind wir eine Einheit gewesen, da habe ich mich als Ganzes gefühlt und deshalb völlig vergessen, dass er noch ein anderes Leben hat. Ich habe alles ausgeblendet, mein Leben, seins, wollte einfach nur für immer mit ihm zusammen sein, sonst nichts.
Anfangs hält er Wort und ruft wirklich jeden Tag an, einmal legt er mir sogar eine rote Rose vor die Tür, was Basti natürlich zu spöttischen Kommentaren über romantische Bullen verleitet. Und ein paar Tage später gibt er mir seine Handynummer, nur um mir zu zeigen, wie sehr er mir vertraut. Gleichzeitig bittet er mich, die Nummer nicht zu benutzen, weil seine Tarnung sonst auffliegen könnte. Doch dann höre ich vier Tage nichts mehr von ihm. Keine Silbe!
In der gleichen Woche fragt Yukiko mich überraschend, ob ich Zeit habe, über das Fronleichnamwochenende auf Ida aufzupassen. Sie und Christian müssen kurzfristig für drei Tage nach Hongkong und diese Strapaze wollen sie Ida nicht zumuten. Ich sage nur zu gern zu, denn mit Ida Spaß zu haben, ist viel besser, als meine Tage mit sinnlosem Grübeln darüber zu vertrödeln, was mit meiner Beziehung passiert ist. Wir vereinbaren, dass ich für die paar Tage in Christians und Yukikos Penthousewohnung einziehe, damit Ida in ihrer gewohnten Umgebung bleiben kann.
Ein Typ, der vier Tage lang unerreichbar ist, den sollte man sofort zum Mond schießen, ganz egal, was er einem für Storys erzählt. Und einen Typen, den man nicht anrufen darf, muss man total vergessen. Aber ich dummes Suppenhuhn bin mir ehrlich gesagt auch noch ganz cool dabei vorgekommen. Wow, mein Freund der Undercoverbulle, jedenfalls bis zu diesem Tag.
Er am Dienstag, dem 26. Juni 2001
»Lass das!« Jo starrte auf die kleine grau-weiß getigerte Katze und dann wieder auf den, der seit einer Woche sein neuer großer Bruder war. »Das tut ihr weh.«
»Ist doch nur eine Katze.« Der Ältere grinste Jo an, senkte sein großes finnisches Schnitzmesser ständig weiter in Richtung der Katze, die aufgehört hatte, so jämmerlich zu miauen, und sich wie tot stellte. Doch es gelang ihr nicht wirklich, ihr Körper zuckte.
»Hör sofort auf damit!«
»Oder was?« Höhnisch grinsend packte sein neuer Bruder die zitternde Katze und wedelte sie durch die stickige Luft wie eine Fahne.
Angewidert warf Jo sich mit einem Sprung auf ihn, sodass sie alle drei zu Boden gingen, dort befreite er die Katze aus dem Klammergriff seines neuen Bruders. Jetzt biss und fauchte die Katze wieder und raste mit steil aufgerichtetem Schwanz davon. Doch die beiden Jungen rangen weiter keuchend miteinander, keiner wollte nachgeben, der jüngere hatte zwar viele Muskeln vom Rudern, aber der ältere war größer und gemeiner und schließlich trat er den jüngeren zwischen die Beine, was diesen laut aufschreien ließ und ihren Kampf abrupt beendete.
Sie blieben stöhnend und keuchend nebeneinander in dem harten stachligen Gras liegen, das zusammen mit Brennnesseln und Disteln auf dem kleinen Grünstreifen hinter dem Haus wuchs, in das man die beiden gegen ihren Willen verpflanzt hatte. Hitzeschwere Stille lag über ihnen, außer ihren langsam ruhiger werdenden Atemzügen war nicht mal das immerwährende Surren der Mücken zu hören. Ihre T-Shirts waren so durchgeschwitzt, als hätten sie darin gerade geduscht. Das von dem älteren war schwarz mit einem verwaschenen Totenschädel vorne drauf, was ihn noch hagerer wirken ließ. Das von Jo war hellblau mit einem roten Fragezeichen auf dem Bauch,
Weitere Kostenlose Bücher