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Der sueße Kuss der Luege

Der sueße Kuss der Luege

Titel: Der sueße Kuss der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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hätte nur Ida-Kim etwas ausgemacht und Ida war weg.
    Sie war die Bambusprinzessin und eine Bambusprinzessin war schön und gut und sie konnte Worte sogar zu Licht machen. Sie hatte weder Hunger noch Durst, egal wie trocken ihr Mund auch sein mochte. Und sie fühlte niemals Schmerz, nein, ihr tat nichts weh, nicht die blutigen Striemen, dort, wo die Fesseln einschnitten. Die Bambusprinzessin war unverwundbar, denn in ihr drin war das Licht des Mondes, das sie beschützte.
    Mama, dachte sie, denn die Bambusprinzessin hatte ja auch eine Mama auf der Erde und einen sehr lieben Papa. Er war derjenige, der sie entdeckt und aus dem wunderschönen Bambusstamm herausgeschnitten und mit nach Hause genommen hatte. Und diese Eltern hatten die Prinzessin geliebt, ohne zu wissen, wer sie in Wirklichkeit war.
    Es war dunkel. So dunkel war es hier drin und so heiß. Aber sie fürchtete sich nicht, denn sie war jetzt eine Mondnymphe, sie war das Licht, ein so starkes Licht, dass sogar die tapferen Krieger des Kaisers davon geblendet wurden. Trotzdem wäre es schön, wenn ein Papa sie jetzt hier herausholen würde, dachte sie, oder eine Mama oder eine Tante Lu.
    Sie rollte sich zusammen und wimmerte, ohne es zu merken. Ihre Kehle fühlte sich an, als ob sie mit Zuckerwatte zusammengeklebt wäre, und sie wünschte sich einen einzigen, einen winzigen Schluck von der Misosuppe, die Tante Lu ihr heute Morgen gekocht hatte. Aber dann erinnerte sie sich wieder, es gab keine Tante Lu. Und sie brauchte auch keine Misosuppe, denn sie war die Bambusprinzessin, und das Brausen und Donnern und Stechen in ihrem Kopf bedeutete nur, dass sie voller Licht war wie die Mondnymphe, und die hatte keinen Durst und fürchtete sich nicht. Niemals.
    Sie wimmerte noch einmal, schloss erschöpft die Augen. Ich werde Licht, dachte sie, und ich bin sicher, ganz sicher.
    Doch sicher war nur, dass der kleine Körper des Mädchens langsam austrocknete, jede Minute ein bisschen mehr.

Lu am Donnerstag, dem 7. Juni 2012, Fronleichnam, 18:00 Uhr
    Entweder ist es noch heißer und schwüler geworden als heute Morgen oder ich bilde mir das ein, weil ich so nervös bin. Ich stehe am Haupteingang des Frankfurter Hauptbahnhofs. Meine Beine fühlen sich an, als würden sie nicht zu meinem Körper gehören. Zittrig vor lauter Angst und kürzer als sonst, weil mein Oberkörper mit diesen Koffern und der Weste so verdammt schwer ist. In der kugelsicheren Weste, die ich unter der schwarzen Windjacke meines Bruders trage – meine Jacke passt nicht mehr –, komme ich mir wie gepanzert vor und schwitze so stark, dass mir die Brühe überall herunterläuft. Der Geldrucksack zwingt mich dazu, meine Schultern extrem nach vorne zu ziehen, damit ich nicht nach hinten kippe. Aber am meisten schwitze ich, weil ich solche Angst habe, etwas falsch zu machen und damit Ida zu gefährden. Dabei habe ich mir vorgenommen, dass ich alles tun werde, um meine kleine Nichte zu retten. Das hier ist die einzige Chance, die ich je haben werde, um diese Katastrophe wiedergutzumachen.
    Ich erinnere mich nur verschwommen daran, wie ich hierhergekommen bin, alles ging so schnell und Simone Rolfs hat mir die ganze Zeit erklärt, wie ich mich verhalten soll. Ruhig. Ruhig. Ruhig.
    Ich versuche auch, nicht verstohlen herumzuspähen, um herauszufinden, wer von den Leuten in der Nähe zu meinen Beschattern gehört und wer nicht, sondern starre nur vor mich hin und warte, dass mein verdammtes Telefon klingelt. In meiner Jackentasche steckt ein RMV-Tagesticket, mit dem ich alle Verkehrsmittel in Frankfurt benutzen kann, und Bargeld habe ich auch. Bevor ich hierhergebracht worden bin, hat mich die Rolfs gezwungen, zwei Brote zu essen und Wasser zu trinken, aber seit ich hier stehe, grummelt es in meinem Bauch, als hätte ich mit Salmonellen verseuchtes Huhn gegessen.
    Weil meine Beine mich fast nicht mehr tragen wollen, suche ich mir eine Bank, bis mir einfällt, dass es am Hauptbahnhof keine mehr gibt, damit sich die Penner und Junkies hier nicht breitmachen können. Schließlich lehne ich mich an eine Eisenabsperrung, um mich ein bisschen auszuruhen.
    Kaum habe ich die Absperrung berührt, klingelt mein Handy und ich springe wie elektrisiert hoch. Mein gesamter Körper ist in Alarmbereitschaft, mein Herz rast, die Beine zittern, aber meine Augen sehen plötzlich besser und meine Ohren kriegen trotz des Lärms um mich herum auch noch die kleinsten Geräusche mit.
    Die Computerstimme verlangt von mir, dass ich

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