Der sueße Kuss der Luege
pflügt. Das Schiff erinnert mich an den Tag, als ich mit Diego, nein, ich will diesen Namen nicht mehr denken, mit ihm zum ersten Mal verabredet war.
Ich sehe keine Wasserpolizei, keine Hubschrauber und jede Menge normal wirkende Fußgänger, bis auf zwei Ausnahmen. Ein Skater, der von der anderen Seite heranrollt, und ein schwules, offensichtlich amerikanisches Pärchen, das trotz des immer lauter werdenden Donners und all der schwarzen Wolken mit lautem »Wow, look at that! Isn’t that fantastic!« dauernd stehen bleibt und Fotos macht.
»Du gehst noch weiter, bis fast auf die andere Seite«, befiehlt die Stimme.
»Verdammt, er muss dort irgendwo ein kleines Motorboot versteckt haben«, höre ich die Rolfs, »seid vorsichtig, dass er euch nicht entwischt.«
Als ich fast am anderen Ende bin, bricht das Gewitter los. Die Fußgänger, die eben noch hier waren, rennen jetzt entweder zum Café oder zur U-Bahn, der Skater ist an mir vorbeigerollt, das schwule Paar ist weit hinter mir zurückgeblieben.
Da kommt wieder ein Kommando. Mein Herz klopft wie rasend und ich habe Mühe, den Entführer zu verstehen, weil es plötzlich richtig laut donnert.
»Stopp! Hier legst du den Rucksack ab, weil du jetzt deine kugelsichere Weste ausziehst.«
»Aber warum? Willst du mich erschießen?«, flüstere ich, während ich ihm schon gehorche. Ich schnalle den Rucksack ab, stelle ihn neben mich und öffne die Klettverschlüsse der kugelsicheren Weste.
»Das sollten Sie auf keinen Fall tun.« Die Rolfs klingt alarmiert.
»Ich werde alles tun, was er verlangt!«
Ein Blitz verwandelt die Silhouette von Frankfurt in gleißendes Silber.
Die Computerstimme meldet sich wieder. »Jetzt wirst du die Weste in den Main werfen.«
»Alle Mann für den Zugriff bereithalten!«, höre ich die Rolfs. »Das ist ganz sicher ein Test für das Geld. Sein Boot muss hier irgendwo sein!«
Ich werfe kommentarlos die Weste in den Fluss, die mit einem kaum hörbaren Platschen in den graubraunen Fluten versinkt.
»Und jetzt springst du. Du nimmst einen Koffer in jede Hand und springst mit ihnen runter. Sofort, oder das Kind stirbt!«
»Stopp, das ist viel zu gefährlich, wir brauchen hier keine Toten!«, schreit die Rolfs. »Der Main hat zur Zeit nur eine Temperatur von achtzehn Grad, es sind acht Meter da runter und außerdem nähert sich ein Schiff. Hören Sie, Sie werden nicht springen!« Der Rest wird von noch lauterem Donnern verschluckt.
Natürlich werde ich springen. Es geht ganz schnell, beruhige ich mich, während ich die beiden Koffer aus dem Rucksack zerre. Der Holbeinsteg ist nicht mal so hoch wie das Zehnmetersprungbrett im Schwimmbad. Ich verdränge die fiese Stimme, die hämisch feststellt, dass ich ja noch nicht mal vom Dreier gesprungen bin. Ida ist alles, was jetzt zählt, und wenn der Typ verlangt, dass ich mit den Koffern springe, dann tue ich das.
Die Brüstung ist so niedrig, dass es auch mit den Koffern und sogar für einen Sporthasser wie mich ein Kinderspiel ist, sich über die Metallstange zu schwingen. Ich nehme meine Brille ab und klemme sie in den Mittelsteg meines BHs, so wie ich das im Schwimmbad mache, und hoffe, dass das halten wird. Kaum habe ich die Beine über der Brüstung, höre ich die eiskalte Stimme von der Rolfs. »Zugriff! Retten wir die Zielperson.«
Nein, ich will, dass Ida überlebt! Ich springe und im Fallen lasse ich die Koffer los, weil mir blitzartig klar wird, dass ich eine Arschbombe machen muss, wenn ich das überleben will.
Bevor sich diese Erkenntnis so richtig in mir ausbreiten kann, höre ich das Platschen der Koffer, dann klatscht mein Körper auch schon auf dem Main auf, ich wundere mich über das gewaltige Dröhnen in meinen Ohren und tauche in dem eiskalten Fluss unter. Mein Herzschlag setzt für einen schockierend langen Moment aus, ich reiße instinktiv die Augen auf, sehe nur braune, trübe Brühe, strampele mit den Füßen und versuche, mich zu beruhigen, nicht atmen, du musst erst hoch ans Licht, an die Wasseroberfläche, nicht atmen! Ich bewege meine Füße, als hätte ich Flossen, kämpfe um mein Leben, um Luft, aber mir ist so kalt, so wahnsinnig kalt. Alles ist wie gelähmt.
Da endlich, ich kriege Luft, aber von oben strömt Wasser auf mich herab, als hätte man im Himmel einen Stausee geöffnet. Der Main um mich herum ist aufgewühlt, das Wasser schwappt mir in den offenen Mund. Ich atme Wasser statt Luft ein, röchele, ersticke. Ich denke an Ida, wie sie mit der grünen
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