Der sueße Kuss der Luege
die S-Bahn Richtung Messe nehme. Das heißt, ich soll erst mal so tun, als würde ich einsteigen, und dann im letzten Moment wieder aus dem Wagen springen. Das muss ich zweimal wiederholen, bevor ich endgültig im Waggon bleibe.
Damit endet die Anweisung, der Kidnapper legt einfach auf, ohne dass ich Zeit für Nachfragen habe. Jetzt erklingt Simone Rolfs Stimme in meinem Handy, sie gibt Anweisungen, jemanden an der S-Bahn Messe zu stationieren.
Ich tue, was die Stimme verlangt, gehe schwerfällig wie ein Elefant, aber innerlich fühle ich mich so kribbelig, als ob mein Körper von Ameisen übersät wäre. Ich nehme die Treppe ins Untergeschoss. Bei der S-Bahn angekommen, steige ich ein, springe dann auf den Bahnsteig zurück, was mir einige missbilligende Blicke einträgt, tue so, als würde ich das nicht bemerken, und warte auf die nächste Bahn. Abermals steige ich ein und springe in letzter Sekunde mit reichlich zittrigen Beinen wieder zurück auf den Bahnsteig. Diesmal steht hier niemand mehr und mir wird klar, dass der Kidnapper so beobachten will, ob und wer mir folgt.
Aber das würde bedeuten, dass er auch hier ist. Ob er bewaffnet ist? Ich schaue mich jetzt doch mal um, sehe aber nur eine Frau mit einem Zwillingskinderwagen, die gerade die Rolltreppe herunterfährt. Man merkt, dass Feiertag ist, sonst würde es hier um diese Uhrzeit von Menschen nur so wimmeln. Die Kidnapper haben offensichtlich alles gut durchdacht.
In die nächste Bahn steige ich ein und lasse mich auf den ersten freien Sitz fallen, auch wenn der mit versteinertem Kaugummi gepflastert ist.
Schweißgebadet komme ich nach nur zwei Stationen an der Messe an und steige als einziger Fahrgast aus, wenn keine Messe stattfindet, ist diese Station immer völlig verlassen.
Es weht plötzlich ein leichter Wind, der mich sofort abkühlt und der die Hitze, die seit heute Morgen, als ich mit Ida auf dem Spielplatz war – heute Morgen? Jahrhunderte ist das her, Jahrhunderte!! –, endlich etwas vertreibt. Ich lockere meine schmerzenden Schultern, lege den Kopf in den Nacken und sehe, dass der Wind dicke messergraue Wolken zu großen Haufen zusammentreibt. Ich frage mich, wann Ida wieder zu Hause sein wird. Noch vor Sonnenuntergang? Die Farbe der Wolken erinnert mich an die Augen von Patrick.
»Wie geht es Ihnen?« Die Stimme von Kriminaldirektorin Rolfs erschreckt mich.
»Ganz wunderbar«, flüstere ich. »Wie Ostern und Weihnachten auf einmal.«
»Sie machen das sehr gut, bis jetzt. Versuchen Sie, sich zu entspannen. Wir wissen weder, wohin die Reise geht, noch, wie lange sie dauert. Ganz egal, was er verlangt, wir dürfen Idas Leben nicht gefährden.«
Entspannen? Witz. Außer mir ist immer noch niemand zu sehen, ich frage mich, wo sich der Mensch versteckt, den Frau Rolfs zur Messestation bestellt hat.
Mir fallen die großen Mülleimer auf, die hier herumstehen, sie sind viel größer als die auf den anderen S-Bahn-Stationen. Vielleicht will der Kidnapper, dass ich das Geld dort hineinwerfe, und die wasserfesten Koffer waren nur eine falsche Fährte?
Wie aus dem Nichts erscheint ein orangefarben gekleideter Müllmann mit Weste und macht sich an den Mülleimern zu schaffen. Wo kommt der denn her? Ist das der Mann von der Rolfs oder einer der Kidnapper?
Das Klingeln des Handys reißt mich aus meinen Gedanken. »Steig in die nächste Bahn und fahr in die Gegenrichtung bis nach Darmstadt. Dort erhältst du neue Instruktionen.«
Nach Darmstadt? Das dauert ja mindestens vierzig Minuten! Ich überlege fieberhaft, was das zu bedeuten hat. Da höre ich schon Frau Rolfs. »Bleiben Sie ganz ruhig. Wir informieren die Kollegen vor Ort. Nehmen Sie die nächste Bahn, die trifft in genau drei Minuten ein. Steigen Sie am Darmstädter Hauptbahnhof aus.«
»Bedeutet das, er hat Ida in Darmstadt versteckt?«
»Das wissen wir nicht. So viel Zeit können Friese und sein Komplize eigentlich nicht gehabt haben, aber wir müssen einkalkulieren, dass noch mehr Leute mit drinhängen, vor allem, wenn an der Geschichte Ihrer Schwägerin etwas dran ist.«
Ich steige in den nächsten Zug und frage mich, wie lange das noch so weitergeht. Ich fühle mich extrem unwohl, schwer und wie ausgestopft. Mir gegenüber sitzt eine Afrikanerin mit einem kleinen Mädchen. Beide sind in leuchtende gelb-rote Stoffe mit einem Schildkröten-Vogel-Muster gekleidet, die ich mir unter anderen Umständen ganz genau betrachtet, vielleicht sogar heimlich fotografiert hätte.
Aber heute
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