Der Sumpf: Psychothriller (German Edition)
sie.
»Kein guter Zeitpunkt. Nicht jetzt.«
Sie packte ihn am Hemd und zog ihn zu sich heran. »Wieso nicht? Was sollen die Faxen, Cowart? Gestern war nicht gut. Heute Morgen war nicht gut. Heute Abend ist nicht gut. Wann sind Sie endlich mal offen und ehrlich zu uns?«
»Hören Sie«, sagte er gereizt. »Sie sind tot, verdammt. Sie waren alt, und er hat sie gehasst. Sie wurden ermordet, und daran ist nun absolut nichts mehr zu ändern! Sie brauchen Ihre Antwort nicht heute, das kann bis morgen warten. Heute Nacht stirbt keiner mehr!«
Die Polizistin wollte etwas sagen, biss jedoch die Zähne zusammen. Sie sah ihn mit einem durchdringenden, grimmigen Blick an, presste die Lippen zusammen und schob das Kinn vor. Dann stach sie ihm dreimal mit dem Zeigefinger in die Brust, bevor sie zur Seite trat, damit er einsteigen konnte.
»Morgen früh«, sagte sie.
»Ja.«
»Wo?«
»In Miami. In meinem Büro.«
»Ich werde da sein. Und sehen Sie zu, dass Sie auch da sind.«
Sie trat vom Wagen zurück und murmelte mit einem drohenden Unterton: »Ja, verdammt, ja. Miami.«
Shaeffer wedelte mit der Hand. Worauf warten Sie noch, schien sie zu sagen. Dabei kniff sie misstrauisch die Augen zusammen.
Er sprang in den Wagen, legte den Gang ein und setzte zurück.
Als er aus der Parklücke fuhr, streiften die Scheinwerfer die grotesken roten Karos von Detective Wilcox’ Sportsakko. Er hatte sich mit verschränkten Armen auf der Fahrbahn postiert und verstellte dem Reporter den Weg. Im Zeitlupentempo schüttelte er den Kopf, formte die Faust zu einer Pistole und feuerte auf ihn. Dann trat er zur Seite und ließ ihn durch.
Der Reporter wandte sich ab. Inzwischen war es ihm egal, wohin er fuhr, Hauptsache weit weg. Hinter dem Gefängnistor gab er Vollgas und tauchte in die Nacht.
Teil 2
Der Kirchgänger
There may come a day I will dance on your grave,
If unable to dance I will crawl across it,
Unable to dance I will crawl.
The Grateful Dead,
Hell in a Bucket
12
Die Schlaflosigkeit des
Lieutenants
I n der Nacht, in der Blair Sullivan hingerichtet wurde, warf Lieutenant Tanny Brown einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Zehn vor zwölf. Bei dem Gedanken an den Mann im Todestrakt beschleunigte sich sein Puls. Auf dem abgewetzten Sofa ihm gegenüber saß eine Frau und weinte hemmungslos.
»Mein Gott, oh mein Gott! Wieso? Gott, wieso?«, schluchzte sie so laut, dass an der falschen Holzverkleidung des kleinen Wohnwagens der Nippes und die Bilder klirrten. Draußen herrschte trotz der vorgerückten Stunde bleierne Schwüle. Alle paar Sekunden leuchteten die Warnlampen der Streifenwagen auf, die dort im Halbkreis parkten, und tauchten ein geschnitztes Kruzifix, das neben einem aus einer Zeitung ausgeschnittenen Segensspruch an der Rückwand des beengten Caravans hing, in rot-blaues Licht. Im Takt der Blitze verrannen unerbittlich die Sekunden.
»Gott im Himmel, warum?«, schluchzte die Frau erneut.
Um die Frage scheint er sich immer zu drücken, dachte Tanny Brown. Besonders in Trailer-Parks.
Für einen kurzen Moment fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und versuchte mit reiner Willenskraft etwas Ruhe in seine Umgebung zu bringen. Erstaunlicherweise stieß die Frau einen letzten Klagelaut aus und verstummte.
Er drehte sich zu ihr um. Sie hatte die Beine hochgezogen und sich in einer Ecke wie ein Kind zusammengekauert. Mit ihrem strähnigen, zerzausten braunen Haar und der dürren Gestalt gab sie eine absonderliche Mörderin ab. Sie hatte ein blaues Auge, um das schmale Handgelenk trug sie eine elastische Binde. Unter den hochgerutschten Ärmeln eines ausgefransten rosa Morgenmantels kamen dunkelviolette Flecken zum Vorschein, die Brown sich für seinen Bericht vormerkte. Als sie die Hände hob, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, die ihr immer noch die Wangen herunterliefen, sah er die Nikotinflecken an ihren Fingern. Sie starrte auf ihre nassen Hände, als wunderte sie sich darüber, dass sie nicht blutverschmiert waren.
In der Stille, die so plötzlich eingetreten war, betrachtete Tanny Brown die Frau. Sie ist verbraucht, dachte er und korrigierte sich im selben Moment: Sie ist jünger als ich. Jahrelange Prügel hatte sie im Zeitraffer altern lassen.
Er winkte einen der uniformierten Polizisten heran, die hinter dem Raumteiler zur Küche standen. »Fred!«, sagte er ruhig, »hätten Sie vielleicht eine Zigarette für Missus Collins?«
Der Polizist in Uniform trat vor und hielt der Frau eine
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