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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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und der stahl in Bartholomäus' Abwesenheit aus dem niemals verschlossenen Schreibtisch des Großvaters die nicht sehr zahlreichen Wertpapiere (ein Aktienpaket, genauer gesagt, ein Aktienpäckchen), die sie vom Vater geerbt und nur deswegen noch nicht verkauft hatten – im Grunde das einzige und gesamte Familienvermögen. Er bestahl sie, wurde aber nicht auf frischer Tat ertappt, und erst am nächsten Tag, auch das per Zufall, entdeckte Bartholomäus das Verschwinden der Papiere.
    Völlig konfus von der Fülle der Unglücksfälle, schaltete Bartholomäus nicht die Polizei ein, zu der er seit seinen Wanderjahren ein gestörtes Verhältnis hatte, sondern ließ den Türken kommen und zur Unterstützung noch zwei Freunde, einen Orientalisten, damit der mit dem Türken in seiner Sprache reden könne, und für den juristischen Teil des Gesprächs einen anderen Freund aus seinem jugendlichen Nomadenleben, erfahrener als er. Der Orientalist erwies sich als überflüssig, insofern der Türke, wie sich erwies, kein Türke war, sondern ein – Bartholomäus unbekannter – Jeside , der erfahrene Freund hingegen war am rechten Platz, denn er drohte dem Türken oder Jesiden, ihn (sie beide) ganz privat aufzuhängen, ohne Einschaltung der Polizei, und zwar aufzuhängen nicht am Hals und auch nicht an den Füßen. Aber der Dieb war standhaft, zog sich in totales Nixverstehn zurück, und ihn daraus hervorzulocken erschien unmöglich, wäre nicht wieder die Britannica gewesen. Bartholomäus fand darin die Jesiden und erfuhr von ihrer höchst ausgefallenen Besonderheit, nämlich dass sie Teufelsanbeter seien und das schlimmste für sie wäre, wenn man in ihrer Anwesenheit den Satan zu schmähen begänne. Das tat Bartholomäus, und überraschenderweise hatte sein sauberes Experiment eine unmittelbare Wirkung.
    Winselnd und wehklagend gab der Türke-Jeside zwar nicht den Diebstahl zu, doch aufgrund der Umstände, die sich so dramatisch zu seinen Ungunsten entwickelten, versprach er, den oben angedeuteten Betrag zurückzugeben, allerdings lediglich als »Ehrenschuld«, um seinen Namen zu retten, denn er hatte eine Braut, er wollte heiraten und Kinder bekommen (wie Sie sehen, ist das auch bei Teufelsanbetern alles ganz genauso). Aber in Anbetracht der ungeheuren Höhe des nicht durch seine Schuld verschwundenen Betrags beabsichtige er, morgen nur die Hälfte auszuhändigen, die zweite Hälfte dagegen ratenweise im Lauf eines Monats. Damit gingen sie auseinander. »Musst schon entschuldigen, Bartholomäus«, sprach sein Freund mit der reichen Vergangenheit, »aber einen Schlappschwanz wie dich habe ich noch nie erlebt. Und wenn er dir morgen die Hälfte bringt, geh in die Kirche und stell die aller
dickste Kerze auf, denn dann zeigt sich, dass du nicht der einzige bist auf der Welt, sondern es gibt noch einen, eine noch größere Sabbeltante, und das ist dein Dieb. Bloß, wie weichgeklopft er auch sein mag, auf die zweite Hälfte brauchst du nicht zu hoffen, unter gar keinen Umständen.« Die Skepsis des Freundes mit der reichen Vergangenheit bewahrheitete sich nicht bei der ersten Hälfte, was Bartholomäus' Glauben an die Menschen festigte, bewahrheitete sich jedoch sehr wohl bei der zweiten Hälfte der Prophezeiung, was Bartholomäus' Glauben an die Weisheit des Freundes festigte.
    Doch fremder Weisheit zu glauben ist das eine, ihr zu folgen etwas anderes, und so besuchte Bartholomäus weiterhin von Zeit zu Zeit den Dieb und verlangte die zweite Hälfte, und noch kein einziges Mal hatte der abgelehnt, sie beim nächsten Mal zu erstatten, und zwar vollständig, ganz bestimmt. Noch kein einziges Mal hatte der Türke ihn hinters Licht geführt, so war es. Er hatte auch gleich geheiratet und war sogar extra gekommen, um Bartholomäus als Ehrengast zur Hochzeit einzuladen, aber Bartholomäus, wiewohl geschmeichelt, ging dann doch nicht zur Hochzeit. Und wenn er jetzt beim Dieb auftauchte, die »Ehrenschuld« einzutreiben, suchte der jedesmal in dem aufrichtigen Bestreben, die Schuld zu tilgen, von der Hand seiner Frau den Ehering abzustreifen, um ihn à conto der Schuld wegzugeben, und Bartholomäus zog beschämt von dannen.
    Einmal aber geschah es, dass der Dieb zu ihm kam, um ihn zum Festmahl anlässlich der Geburt des Erstlings einzuladen, und in ebendiesem Augenblick hatte Bartholomäus die Nachricht erhalten, dass sein Bruder am Leben war, wenn auch in Südamerika. Überglücklich über das Glück seiner Mutter, sagte der gerührte

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