Der Symmetrielehrer
Bartholomäus zum Dieb: Wenn dieser jetzt den Diebstahl zugäbe, würde ihm sofort verziehen und wäre er von der Schuld befreit. Seltsamerweise war der Dieb ernstlich beleidigt und ging. Bartholomäus, davon überzeugt, dass der Dieb nun mal ein Dieb war und nichts anderes, begann in tiefster Seele bisweilen ein Prozent Zweifel zu hegen, wenn er einen verstohlenen Blick auf den heranwachsenden Sohn warf.
Oh, hätte er gewusst, in welchen Abgrund er sich stürzte mit seinem großzügigen und, gerichtsmäßig ausgedrückt, privaten Urteilsspruch!
Der Dieb erzeigte ihm königliche Ehren. Die Aufrichtigkeit seiner Freude bei Bartholomäus' Anblick war inzwischen schwerlich in Zweifel zu ziehen. Manchmal kam es Bartholomäus vor, als hätten auch Bruder und Dieb die Schicksale getauscht; dass der Bruder zum Dieb geworden sei, hätte er bislang noch nicht sagen können, aber dass der Dieb zum Bruder geworden war, danach sah es aus. Die Schuld gab er weiterhin nicht zurück, dafür übernahm er liebend gern kleinere Aufträge, führte sie zwar ebenfalls nicht aus, wärmte jedoch Bartholomäus' Herz durch seine Bereitwilligkeit. So hatte er sich schon vor einem Jahr anerboten, einen neuen Rollstuhl für die Königinmutter aufzutreiben, so wollte er nun unbedingt morgen noch einen Weihnachtsbaum vorbeibringen. Für einen Aufschub der Zahlung fand sich jedesmal ein triftiger Grund: Krankheit der Mutter (das verstand Bartholomäus), eine Bürgschaft für den älteren Bruder mitsamt Präsentation desselben (auch ein Türke, vielleicht sogar der Bruder), ein Unglück mit selbigem Bruder, er war vor Gericht gekommen (auch das konnte Bartholomäus verstehen). Diesmal rollte der Dieb ein Fässchen Honig in die Zimmermitte, als unanzweifelbare Garantie für die baldige Auszahlung; Verwandte hätten es geschickt, er müsse nur auf den Basar und es verkaufen, sogleich bringe er Bartholomäus alles, bloß habe er nie Zeit, viel Arbeit (wann auch immer Bartholomäus vorbeischaute, der Dieb war immer zu Hause), und wenn er es nicht glaube, könne er das Fässchen auf der Stelle mitnehmen, der Honig darin gelte die Schuld mehr als ab. Bartholomäus nahm das Fässchen nicht.
Das ältere Diebessöhnchen, Bartholomäus' Liebling, saß schon bei ihm auf dem Schoß und mochte sich nicht mit dem überreichten Bonbon begnügen, sondern hatte es zusätzlich auf Kugelschreiber oder Feuerzeug abgesehen, so dass Bartholomäus sich allmählich in einen Jongleur verwandelte und mal dies, mal das aus der Luft schnappte, mal ein Taschentuch, mal
eine Uhr, um sie wieder an Ort und Stelle zu verstauen; das jüngere krabbelte in erstaunlichem Tempo wie ein Kakerlakchen auf allen vieren; die Ehefrau schleppte aus der Küche ins Zimmer und wieder zurück ihren riesigen dritten Bauch – das alles war zu Bartholomäus' Zeiten gezeugt und geboren worden. Ihm war kalt gewesen, nun wärmte er sich an diesem häuslichen Herd auf und vergaß dabei, wozu er gekommen war. In der Küche war etwas fett am Blubbern, verströmte würzigen türkischen Geruch, gleich wäre es fertig, Bartholomäus solle mal kosten …
Zum Beweis seiner Lauterkeit führte der Dieb Bartholomäus endlich seinen Pelzmantel vor, den zu reparieren er sich noch im Sommer anerboten und den er Bartholomäus buchstäblich mit Gewalt entrissen hatte, trotz dessen schüchterner Ausflüchte. Dieser Pelz war jahrelang Bartholomäus' besonderer Stolz gewesen: ein Wolfspelz, den er aus Alaska mitgebracht hatte, so einen hatte niemand, niemand außer ihm hätte sich auch entschlossen, so einen zu tragen – ein königlicher Pelz! Zu besonders feierlichen Anlässen, aber sei es, dass die Anlässe immer weniger feierlich wurden … jedenfalls, als Bartholomäus ihn wieder einmal hervorholte, flog die Zeit aus ihm heraus wie ein Geist, in der typischen Mottenflugbahn. Als der Dieb seinen Kummer sah, bot er eifrig Hilfe an: Für so etwas hätte er einen Türkenvetter, höchste Qualität, wird wie neu. Bartholomäus faselte, von wegen, neu würde der nicht mehr – vergebens. Der Dieb schleppte ihn fort, unter die Achsel geklemmt wie etwas Lebendiges, und sogar der Pelz schien sich zu widersetzen wie ein fremder Hund.
So dass nun den Gesprächen über die Schuld noch gleichberechtigt das Gespräch über den Pelz zuwuchs, und allmählich war nicht mehr zu erkennen, was wichtiger war (Bartholomäus war überzeugt, der Pelz sei auf dem Basar gelandet, wo ein gewisser Honig noch nicht gelandet war),
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