Der Symmetrielehrer
Wort wie beim letzten Mal und beim vorletzten … Damals freilich noch ohne den Pelz. (Um den Pelz war es Bartholomäus leid.) ›Er weiß, und ich weiß‹, sinnierte er wie gewohnt. ›Und er weiß, dass ich weiß, und ich weiß, dass er weiß, dass ich weiß. Und er glaubt, dass
ich Wort halte. Und ich werde Wort halten, obgleich es mir leid ist um das Geld: Mein Gott! wie es zu Weihnachten gelegen käme! Was ich von ihm verlange – er kann solche Worte einfach nicht aussprechen, er möchte und kann es nicht!‹ Eine besondere Ehrlichkeit des Diebs schien Bartholomäus darin zu liegen.
»Uff!« sagte er, schüttelte den nassen Schirm und betrat das verhasste Büro des Herrn Poluschan, wo ihm nicht nur eine Audienz mit Paul I. bevorstand, sondern auch ein ernstes Gespräch mit Mister Adams.
Es begann die tagtägliche königliche Routinearbeit.
Zum Empfang beim Wesir kam Bartholomäus zu spät. Der Wesir war nicht mehr am Arbeitsplatz. Der Verdruss über den Dieb hielt nicht lange vor. Sobald Bartholomäus von der Sekretärin des Wesirs erfuhr, dass dieser heute noch gar nicht erschienen war, auch nicht zu dem Zeitpunkt, zu dem er das Treffen mit Bartholomäus anberaumt hatte, da übertrug sich der Verdruss auf den Wesir. Dafür schaffte es Bartholomäus noch rechtzeitig an seinen eigenen Platz.
›Keiner will mehr arbeiten‹, nörgelte er, während er zu seinem Audienzsaal ging und den Schirm zum Trocknen aufspannte, so dass dieser den ganzen Saal ausfüllte. Regenmantel und Sakko legte er ab und hängte sie ordentlich auf Kleiderbügel. Streifte schwarze Buchhalterärmelschoner über, schüttelte das abgeschabte Stuhlkissen auf und nahm auf seinem Thron Platz. Er zog die magere Akte mit den unaufschiebbaren Staatsgeschäften zu sich her, setzte die für solcherart Vorgänge passende Miene auf, sagte: »Sie können eintreten!« und schlug die Akte auf.
Der russische Marschall lag mit all seinen Auszeichnungen, von der Kehle bis zum Gürtel (und noch unterhalb des Gürtels baumelte was am Säbel), als erster da. Es war ein Farbphoto, und obwohl in der Redaktion niemand den Marschall kannte, war es das eindrücklichste der gesamten russischen Kollektion. Es stellte die Großen in den Schatten, Peter und Katharina und spätere russische Staatslenker, und der Chefredakteur bestand darauf, es müsse unbedingt in der Ausgabe enthalten
sein. Da blieb nur, ihm eine Biographie zu erfinden, dieweil sogar der Nachname des Marschalls nicht genau bekannt war, und nach den Normen der Ausgabe durfte der Artikel nicht kleiner sein als das Porträt. Der Menge seiner Auszeichnungen nach zu urteilen, hatte er wohl eine besonders große Schlacht verloren …
Von sieben Artikeln und drei Illustrationen, die in den Umbruch nicht mehr hineinpassten, war fünfen bzw. zweien der Vorzug zu geben. Oder die Artikel waren so zu kürzen, dass alles Platz fand. Und das stand in Bartholomäus' Macht.
Falls rauswerfen, dann wen? Bartholomäus legte die Bilder vor sich hin. Der Marschall blieb, mochte seine Schlacht auch unbekannt sein. In Konkurrenz mit ihm standen ein Fisch und ein Puck, und der trug den Namen des Ingenieurs, der ihn erfunden hatte. Das ist vielleicht ein Schicksal! Über den Ingenieur war kein Artikel vorgesehen, nur über seinen Puck, über den Marschall aber war einer vorgesehen, obwohl seine Schlacht weniger erfolgreich war als der Puck … Und erst der Fisch! Ein urkomisches Fischlein, durchsichtig, mit einem Schnäbelchen, außerdem uralt und selten, aber nach den Trillionen von Jahren seines siegreichen Überlebens nun niemandem mehr bekannt. Beim Marschall war seine Niederlage bekannter als er selbst. Der Puck hatte seinen Erfinder in den Schatten gestellt. Überhaupt war der Puck von ihnen allen der Berühmteste.
Bartholomäus legte den Marschall in die Mitte, zwischen das Fischlein und die Zeichnung des Pucks. Den Puck konnte er keinesfalls rausschmeißen, aus objektiven Gründen, den Marschall in Befolgung des Befehls, das Fischlein wiederum mochte Bartholomäus am liebsten. Also, die Altarwand aus Orden, das uralte Fischlein oder der geniale Puck?
O Enzyklopädie! Bartholomäus lachte vor lauter Vergnügen an seiner Macht.
Das war aus seinen exotischen Erfahrungen letztlich geworden! Als ehemaliger Expeditionszeichner war er nicht nur Text-, sondern auch Bildredakteur, eine seltene Ämterverbindung, und wenn auch von der Direktion deutlich unterbewer
tet, sicherte sie zwar das täglich Brot,
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