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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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das Glück. Nicht in dem Sinne, dass sie »vor Glück gestrahlt« hätte, das gerade nicht, wenn man genauer hinsah, schimmerte sogar eine gewisse Beunruhigung durch dieses alles überflutende Licht. Sie selbst war das Glück. Das, was es nur jetzt gibt, aber nicht im nächsten Augenblick, was es einfach gibt, aber nicht du hast es, nicht in deinen Händen …
    »Gummi? Komm rein, komm rein. Was drückst du dich an der Tür herum? Komm rein, setz dich. Was möchtest du, Gummi?«
    »Ich wollte sagen … Ich kann kein zweites solches Steinchen finden.«
    »Was für ein Steinchen?«
    »Ihnen hat gestern das Steinchen so gefallen, das ich mitgebracht habe. Ich wollte noch eines finden.«
    »Ist doch nicht schlimm, Gummi, du findest noch eines.«
    »Nein, ich finde keines.«
    »Mach dir nichts draus, Gummi.«
    »Ich habe verstanden, dass man nichts extra … nichts extra finden kann … finden geht nur zufällig … man kann nicht finden, was man will …«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Finden, das geht nicht absichtlich … das geht …« Hier begann Gummis Stimme seltsam zu zittern und stockte, so dass Davin die Feder im Lauf anhielt: Was ist los? »Ich würde mein Leben hergeben.«
    »Wie? was heißt das?« Davin war perplex: Gummi zwinkerte, als schaute er dort, über dem Doktor, in grelles Licht. Davin drehte sich um und erblickte Joy. Er erblickte sie, nicht das Porträt. Sie war dort, im Garten, in der grellen Sonne, wie wenn über seinem Kopf ein Fenster wäre, und sie lachte, weil Robert bisher nichts davon gewusst hatte. Davin schüttelte den Kopf und traf erneut auf Gummis anbetenden Blick – er nämlich erleuchtete Joy. Das Porträt erlosch.
    »Wofür würdest du dein Leben hergeben?« fragte der Doktor reserviert.
    »Für solche Schönheit würde ich mein Leben hergeben«, wiederholte Gummi erschüttert, erneut hatte er Brei im Mund.
    Davin fielen jene Bildkarten auf dem Bahnhof ein, und sein Lächeln war schief.
    »Na schön, na schön, Gummi«, sagte er abrupt. »Geh. Du störst mich bei der Arbeit.«
    »Liebe Joy!« schrieb er. »Du kannst dir nicht vorstellen, welchen Eindruck Du, vielmehr, Dein Porträt auf meinen Gummi gemacht hat …«
     
    »Schaut, da geht der Doktor mit seinem Idioten!« riefen die Taunusser gleich beim ersten Mal, als sie die beiden zusammen erblickten. »Schaut, da geht der Doktor mit seinem Idioten!« riefen sie beim zweiten Mal.
    Und wenn sie gelauscht hätten (sie lauschten ja auch …), worüber der kleine und glatzköpfige Don Quijote mit seinem hochgewachsenen und hitzigen Sancho Pansa redete … worüber mochten sie sich schon unterhalten miteinander, der wichtigtuerische Bücherwurm und der totale Idiot …, so hätte sich ihre Vermutung, der Doktor selbst könnte ein bisschen Behandlung vertragen, dermaßen bestätigt, dass es der Bestätigung nicht mehr bedurft hätte.
    »Du bist also der Ansicht«, (auf zweieinhalb Schritte des Doktors vier platte Schrittchen Gummis), »das sei nicht die Außen-, sondern die Innenseite?«
    »Es ist immer die Innenseite«, sagte Gummi voll Überzeugung. »Bloß schauen die Leute außen drauf.«
    »Ja, und wenn wir das Innere nach außen stülpen?«
    »Eben!« Gummi freute sich. »So geht es auf.«
    »Gut«, stimmte der Doktor zu, unter angespanntem Nachdenken. »Die Menschen verfügen also über eine umgestülpte Wahrnehmung und nehmen die Außenseite als Innenseite wahr und umgekehrt? Wie Neugeborene die Welt umgestülpt sehen, so?«
    »Fast so. Bloß gibt es überhaupt keine Außenseite.«
    »Ich kann deinem Gedankengang zustimmen, aber nicht deiner Gewissheit, Gummi. Wie das, nur Innenseite, sonst nichts?«
    »Ich sehe es so.«
    »Ja, und wenn du zum Beispiel eine Lokomotive betrachtest, ist die nicht außerhalb von dir? und siehst du etwa Feuerung und Kessel?«
    Gummi blökte nur vor unausdrückbarem Kummer.
    »Du möchtest sagen, dass ich die Diskussion wieder rein formal verwirre? Was hattest du vom anderen Raum gesagt?«
    Gummi nickte erleichtert.
    »Sie reden jetzt mit Fleiß so. Aber ich sehe auch die Feuerung, sehe den Dampf – es ist ihm eng.«
    »Du hast einfach eine reiche Phantasie, Gummi.«
    »Ich habe keine Phantasie. Ich kann mir nichts ausdenken, was es nicht gibt.«
    »Na schön, ich nehme mein Beispiel zurück. Du hast recht, es ist primitiv. Gehen wir zu einer komplizierteren Maschine über. Reden wir über uns. Über dich und mich …«
    »Ich glaube, die Maschine ist weniger primitiv, als Sie

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