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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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geworden, als unpräzise Gedanken über das Leben zu präzisieren …‹ – »Ich versichere es Ihnen!«
    Aber Gummi hatte es ihm geglaubt und schien nun zu schnurren vor Glück.
    »Haben Sie im Kloster fliegen gelernt?« Erneut verfolgte Davin eine Spur in die Tiefe.
    Diese plötzliche Volte zurück zeitigte ein überraschendes Ergebnis. Gummi schien wieder etwas einzufallen, dermaßen starrte er runden und unbeweglichen Blickes auf etwas vor sich, das in Wirklichkeit gar nicht da war.
    »Ja … Der Lehrer … Er trank Wasser … Ich sollte die Leere erfassen …« Die Wörter, die einander gerade so verblüffend gefunden hatten, klebten wieder zusammen wie Fruchtbonbons in der Hosentasche. »Er trank das Wasser, ließ mich in die Ecke sitzen … Ein bisschen schlug er mich mit dem Stock …« In Gummis Augen brach etwas durch und sprang nach draußen. »Er fragte mich: Wo ist in dieser Tasse das Wasser, das ich getrunken habe? Ich sagte, es sei in ihm. Darauf schlug er mich sehr. Dann stellte er die leere Tasse vor mich hin und sagte: Denke nach, was darin ist. Und ging und sperrte die Tür ab. Ich blieb drei Tage dort und dachte nach.«
    »Hm …«, sagte Doktor Davin.
    Gummis Gesicht klarte auf.
    »Sie haben mich drauf gebracht, und es ist mir eingefallen. So war es. Ich schaute drei Tage in die Tasse.«
    »Das ist, gelinde gesagt, merkwürdig …«, seufzte Davin.
    »Ich versuche Ihnen das jetzt zu erklären. Damals ist es mir auch, glaube ich, zum erstenmal gelungen … Ich war steif ge
froren. Dann wurde mir plötzlich warm, und alles wurde farbig. Allerdings war ich noch in demselben Raum. Das Ganze kam mir nun sehr interessant, schrecklich und lustig vor. Ja, lustig, aber ich lachte nicht. Ich blickte um mich, da wurde die Starre in mir warm und sang wie eine Zikade. Alles war wie vorher und doch wieder nicht. Auf einmal sehe ich – die Tasse steht in der anderen Ecke. Ich wollte es nicht glauben. Sicher hatte ich nicht gemerkt, wie ich von ihr weggegangen war in die andere Ecke. Ich kehrte zu ihr zurück, musste doch dem Lehrer gehorchen. Und kniete daneben nieder. Erneut merke ich: irgendwas stimmte nicht. Das einzige schmale Fensterchen war direkt über mir gewesen, in der Ecke, wo mich der Lehrer gelassen hatte, und jetzt, als ich rübergegangen war, war es wieder über mir, genauso eines. Ich blickte mich um zu der Ecke, aus der ich gerade zu der Tasse herübergewechselt war, und schrie auf, so erschrak ich, denn dort saß ich nach wie vor in derselben Haltung auf den Knien. Nach und nach fing ich mich wieder und riskierte erneut einen Blick hinüber. Er war eindeutig ich, und mein Schrecken verging erstaunlich rasch; immer häufiger schaute ich mit aufgerissenen Augen zu ihm rüber und merkte, wie er aufwachte. Weiß nicht, wie ich begriff, dass er von meiner Existenz wusste und mir Zeit ließ, mich an ihn zu gewöhnen. Er vermied es, in meine Richtung zu schauen, ich erinnere mich, dass er absichtlich nicht schaute. Weiß nicht, wie er mir das zu verstehen gab. Schließlich drehte er sich zu mir um, schaute mich spöttisch an und zwinkerte. Und das war auf einmal nicht er, das war ich, wie ich mich nach dem Zwinkern von den Knien erhob und einen Augenblick über dem stand, der ich gewesen war und den ich verlassen hatte. Darauf bog ich mich irgendwie weit seitwärts und riss mich los vom Boden und schwebte kurze Zeit über dem von mir, der in der Ecke geblieben war und schüchtern und mit immer geringerem Interesse, so schien es, mich beobachtete. Er wurde mir langweilig, wie wenn ich begriffen hätte, dass mit ihm alles ganz recht, alles in Ordnung war. Erst schwebte ich also, in einem Bogen, kurz über ihm, dann schwang ich mich leicht zur Decke hoch, und eine solche Freu
de kam über mich! Ich wusste, dass mir alles offenstand und das Eingesperrtsein in der schweren und festen Welt für mich ein Ende hatte. In aller Eile probierte ich meine Möglichkeiten durch, kreiste und purzelte durch den Raum, und da ich im Nu alle Tricks begriffen und gelernt hatte, schwang ich mich hoch, zum Fensterchen hinaus. Ich weiß noch, es war staubig.«
    ›Typischer Drogenwahn‹, dachte der Doktor. ›Sollte er tatsächlich in Asien gewesen sein?‹
    »Und weiter?« fragte Davin mit kindlicher Ungeduld, bereits ohne sich über Gummis Beschreibungskunst zu wundern. »Sie erzählen großartig, sehr verständlich. Und weiter?«
    »Ich erblickte das Kloster und die Berge von oben, ich flatterte umher wie

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