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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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Lösungen«, und die erste war, dass er die Flasche vor sich selbst im Schrank verschloss und den Schlüssel fortwarf … und bald schon holte er Manja und Toschka, sie sollten sich den Anfang anhören. Er selbst trank nach wie vor nicht, aber ihnen wollte er einschenken, um des Erfolgs willen. Doch war der Schlüssel fort. Manja schob mit einem Schulterzucken den Schrank beiseite (wie sich zeigte, hatte der keine Rückwand) und kam leicht an die Flasche. Tischkin, entzückt von ihren Reckenkräften, war dennoch verdutzt, wie leicht das Gefäß offenbar war; was da schwappte, bedeckte kaum den Boden. Ein Glas für jeden kam aber noch heraus; die beiden tranken, krächzten und setzten sich zurecht, die Hände auf den Knien wie vor dem Photographen.
    Und so begann Tischkin mit der Lesung:
     
    ›Was weiß ich, weshalb ich keinen einzigen Gedanken im Kopf habe‹, dachte ich. ›Dabei halten mich alle für klug.‹
    Mrs. Down ganz besonders. Ihr verdanke ich alles. Hätte sie nicht Macht über Mr. Down, unseren Rektor, käme die Universität längst ohne mich aus.
    So aber sitze ich auf der Ruderbank und rudere, und Mrs. Down versperrt mir mit ihrem Hut die ganze Sicht. Deshalb denke ich daran, wie ich nicht denke. Diese grauen, gewundenen Fäden, an den Verdickungen kaum angedeutete Facetten, kann man doch nicht für Gedanken halten? Ob nun an ihnen etwas entlangläuft, ob ich an ihnen hochklettere …
    Als wäre es möglich, im eigenen Schädel etwas zu sehen?! Warum eigentlich nicht, ist das Bewusstsein etwa ein Gedanke?
    Wie war das noch vor kurzem: du setzt dich in die Badewanne – ein Gesetz, ein Apfel fällt runter – ein Gesetz. Newton reicht Archimedes den Apfel. Da klopfte es gegen die Bordwand, und ich hatte die Vorstellung, der ganze See wäre voller Äpfel, ich würde beim Rudern mühsam die Ruder dazwischenschieben, doch es war, so zeigte sich, Mrs. Down, die um
zukehren bat. Mir kam schon der Gedanke, gleich öffne sich die Sicht, aber mit ihr kehrte sich auch der Hut um, das heißt, mit der Sicht, das heißt, mit Mrs. Down, das heißt, mit dem Boot, das heißt, mit mir … Wie auch anders? Bloß, was befindet sich worin? Es geht ja nicht um den Hut! Doch, gerade um den Hut … Die Idee muss ich mir merken!
    Und hatte augenblicklich alles vergessen. Wie gedacht, so vergessen. ›Weshalb denke ich eigentlich nie etwas?‹ Verdrossen schaue ich zum Fenster hinaus. Wie sich zeigt, sitze ich nicht im Boot. ›Wenn der Gedanke sich in Wörtern ausdrückt und zwischen jedem Wort, sogar zwischen jedem Laut, Zeit vergeht, was ist das schon für ein Gedanke? Das ist Länge, ist Entfernung, gemessen durchs Wort. Und zu jedem Wort ist die Entfernung anders. Was für ein Gedränge es unter ihnen gibt, wenn sie etwas auszudrücken suchen! Die Entfernung zum Wort Kosmos ist viel geringer als die zum Wort Fliege. Nein, nicht Harmonie – Kakophonie muss man hören können! Die Brownsche Bewegung, wenigstens da ist noch was übrig, außer der Badewanne mit den Äpfeln!!
    Das Chaos ist der am meisten homogene Zustand.‹
    Wie sich zeigt, war ich gar nicht Rudern, sondern habe Geige gespielt. Wenigstens in der Musik ist die Entfernung zwischen den Tönen abgemessen … Da legte ich erbost die Geige weg, um zum Fenster hinauszuschauen.
    Gestern noch hatten wir das 19. Jahrhundert! Und heute schon das 20., und nichts hat sich verändert! Hat sich die Zeit verändert? Schließlich und endlich – was ist das überhaupt?!
    Ist sie nicht bloß das Maß unseres Verdrusses darüber, dass wir darin abwesend sind? Was hindert uns, glücklich zu sein?
    Und wieder nichts von einem Gedanken! Erneut sehe ich diese beiden Mädels, die eine weißblond mit grauen Augen, die andere schwarz mit blauen … Kann doch nicht sein, dass ich über sie nachdenke? das ist doch kein Gedanke! Wieso, gerade über sie denke ich nach – übers 20. Jahrhundert doch nicht! Würde man ihnen die Äuglein vertauschen, käme nichts Rechtes dabei raus … und so weißt du nicht, welche du vorziehen sollst.
    Gleichheit ist vergänglich. All das ist äußerst relativ. Außer vielleicht der Symmetrie …
    Überall ist dieser Stempel des Schöpfer sichtbar, wie der Fingerabdruck eines Verbrechers. Fischskelett und Blatt. Blüte und Frauenschoß … Nein, diese Reihe ist unendlich, kein Wort mehr darüber! Wir sind noch nicht bereit. Das Kristall ist symmetrischer als das Herz. Lebendiges und Nichtlebendiges …
    Adäquate Wahrnehmung ist

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