Der Symmetrielehrer
Zweitens interessiert mich nur der Rossini, der endgültig mit der Musik gebrochen hat und sich voll und ganz der Kochkunst widmet. Drittens ist das eigentlich kein Roman, sondern ein Opernlibretto!«
Wie wir uns da entrüsteten! Uns hier Librettos anzubringen!
Es wurde beschlossen, als Unterpunkt in die Satzung einzufügen, dass Theaterstücke, Drehbücher und ganz besonders Librettos zur kritischen Prüfung nicht zugelassen sind.
»Ja, und was werden Sie uns zum Dessert servieren, da Sie sich so für Kochkunst begeistern?« Gerda lächelte. »Mozart?«
»Wie haben Sie das erraten?« Violo wurde tiefrot.
»Der Dritte ist immer leichter zu erschließen«, sprach Gerda geheimnisvoll.
»Und außerdem«, giftete Barley, »kann man Mozart überhaupt zu den Großen zählen?«
»Der Roman handelt, streng genommen, nicht von Mozart, sondern von Salieri«, stammelte Violo.
»Dem Giftmörder?« versetzte Oneday. »Ah ja, Gifte haben etwas mit Kochkunst zu tun …«
»Überhaupt nicht! Gerade deshalb bekam ich ja Zweifel an dem Giftmord.«
Wir seufzten tief und füllten unsere Gläser mit Sherry: Haben wir uns schon zwei angehört, na, schieß los mit dem dritten!
Violo ließ seine Roman-Hypothese auf zwei Prämissen fußen, auf Mozarts plötzlichem Tod und dem Grund für diese Plötzlichkeit.
Die Beschreibungen von Mozarts Tod sind tatsächlich berückend geheimnisvoll: Er wurde nicht krank, sondern mit einemmal schwanden ihm, rasch und geheimnisvoll, die Lebenskräfte, und er schmolz dahin wie eine Kerze, erlosch wie ein Himmelslicht, ging unter wie die Sonne (»verpuffte wie ein Luftballon« – Violos Worte), als wäre er wirklich mit einem verborgenen Gift vergiftet worden.
Violo schloss sich sozusagen der Legende an, dass Salieri der Giftmörder gewesen sei, doch überhaupt nicht in dem unmittelbaren, meuchlerischen Sinne, wie er sich in Legenden und sonstiger Literatur festgesetzt hat. Salieris Gift war weitaus feiner, raffinierter und mörderischer als jegliche Alchemie – als Gift diente ihm Bildung.
Mozart war genialer, Salieri aber gebildeter. Mozart war mehr als dreißig Jahre lang (ab dem Alter von vier) stets ein- und derselbe (das heißt, vierjährig blieb er auch) und dachte nie darüber nach, wer er sei, wen er übertreffe oder wer vor ihm gewesen sei – man braucht sich nicht mit irgendwem zu vergleichen, wenn man der Einzige und Erste ist, er kam gar nicht dazu. Salieri, der von Mozart stärker hingerissen war
als alle anderen, kannte den Unterschied zwischen dem Zweiten und dem Ersten nur zu gut. Er hielt Wolfgang allerlei modische Neuheiten unter die Nase, doch der wusste schon alles, für ihn konnte es nichts Neues geben.
Aber Salieri war geduldig und passte den Moment ab.
Mozart hatte tatsächlich von dem geheimnisvollen Unbekannten den makabren Auftrag für eine Seelenmesse angenommen, da er wie immer Geld brauchte und dem Vorschuss nicht widerstehen konnte. Die Aufgabe bedrückte ihn zunächst, es ging kaum voran, und der Termin drängte. Salieri hatte von einer zufälligen Darbietung der sonst nie dargebotenen Messe eines vergessenen Komponisten erfahren und suchte Mozart zu verleiten, mitzukommen, sie mitanzuhören. »Das lenkt dich ab, das bringt dich auf neue Gedanken«, beredete ihn Salieri. Und überredete ihn. Und kaum hatte Mozart zugestimmt, da kam sein Requiem vom Fleck und gewann Tempo wie Leichtigkeit. Er spürte, wie er bald an der Grenze seiner Kräfte war, und das WAR es jedesmal: die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der Schöpfung! – entweder du stirbst, fällst auf das Blatt des Manuskripts, oder du fliegst noch höher, wenn du es vollendet hast und dich vor Freude in der ersten besten Kneipe betrinkst. Was trinken wollte er schrecklich gern!
Da trat Salieri ein, drei Tage waren verflogen wie nichts, und sie mussten los.
»Wohin??«
»Die Messe anhören, du hast es doch versprochen!«
Er hatte ihn im Augenblick allergrößter Erschöpfung erwischt!
Und Mozart trottete gefügig hinter Salieri her, wie an der Leine. Wie zur Schlachtbank.
Salieri wusste, wohin er ihn führte, aber er konnte ja nicht ahnen, was Mozart erlauschen, erschauen würde bei seinem Gehör!
Es war die »Matthäuspassion«.
Auf dem Heimweg betrank sich Wolfgang; zu Salieri hatte er kein Wort gesagt. Er entsann sich, wie er und sein Freund
Johann Christian, beide sorglos und so genial, die lächerliche Summe vertranken, die ein altersschwaches Klavier von Johanns Vater eingebracht
Weitere Kostenlose Bücher