Der Symmetrielehrer
hätte uns im Klub gerade noch gefehlt!), dafür mit gleich zwei ungeschriebenen Romanen und noch einem, der ihm eben erst in den Kopf gekommen war, so dass er es »einfach noch nicht geschafft« hatte. Wir waren perplex ob solcher Fruchtbarkeit, und vor allem – auf Anhieb ließ sich ein umfängliches und schicksalsträchtiges Anagramm aus ihm bilden, denn gekommen war er schlicht als Mike und wurde – M. Violo di Klavier! (des weiteren schlicht Violo). Auch passte sein Curriculum vitae zu dem Anagramm.
Er war, fleißig und hartnäckig, der Lieblingsschüler eines berühmten alten Organisten gewesen, der große Hoffnungen auf ihn setzte, aber da musste sich Violo bei einem Autorennen die Hand brechen, sie verlor ihre frühere Beweglichkeit, und so begab er sich an eine schwedische Universität, nach Uppsala, um Philosophie zu studieren, aber dort fand er nichts über Swedenborg und begab sich nach Japan, um die Sprache zu studieren, wofür ihm noch rascher die Zeit nicht reichte, und so kehrte er nach Hause zurück, zu Papa, Mama und der Musik, wo er auf Kontrabass umstieg, als das weniger zweihändige Instrument, zugleich allerdings über den Kauf eines kleineren Hotels nachdachte, um dort vor auserwähl
tem Publikum zu spielen. Dass er sich als Autor von gleich drei ungeschriebenen Werken erwies, konnte uns nur gefallen, dennoch rieten wir ihm, sich auf eins der drei zu konzentrieren.
Er entschied sich für den Titel »Vater und Söhne«, dabei war der Vater, wie sich erwies, Johann Sebastian Bach, worauf der Roman in Einklang mit Punkt 3 der Satzung umgehend abgelehnt wurde. Und so sehr Violo auch, seltsamerweise an Gerda gewandt, nachzuweisen bemüht war, dass der Roman nicht von der Größe, sondern eben von der Herabsetzung Bachs handle, der gedemütigt wurde von seinen Söhnen, die ihn für mehr als ein Jahrhundert als veraltet in den Hintergrund drängten, bis zu seiner »Entdeckung« durch Mendelssohn, dass der Roman eben von diesen Söhnen handle, die den Vater als »Gott« zielsicher mit Füßen traten, das heißt auch Gott als Vater … für uns alle blieb Bach ein Gott, und wir lehnten den Roman ab.
»Schließlich und endlich bin ich der Organist und nicht Sie!« Violo schaute wieder flehentlich zu Gerda. »Ich nämlich habe meinen alten Lehrer verraten, der mir wie ein Vater war, und nicht Sie! Worüber ich schreibe, das kenne ich in- und auswendig, ich nämlich habe Bach lebendig gesehen, und nicht Sie!«
»Wie – lebendig« wollten wir im Chor wissen.
»Damit werde ich wohl meinen Roman beginnen …« Und Violo zog einen Papierfetzen aus der Tasche.
Wir konnten ihn nicht mehr aufhalten, er las schon vor. So war das bei uns nicht üblich, aber wir kamen zu spät. Wir mussten zuhören.
Ein Ich (der Autor?) schlendert durch ein altes, ihm unbekanntes Städtchen, und dank einer geheimnisvollen Ahnung wird ihm plötzlich klar: hier, hinter diesem Türchen, lebt ER , Bach. Ohne lang zu überlegen, klopft er an, ihm öffnet eine ehrwürdige Frau und bedeutet ihm zu warten. Er wartet und hört, wie jenseits der Tür Teile der »Matthäuspassion « zusammengefügt werden. Er ist selbst Musiker, somit kann man sich unschwer seine Gefühle vorstellen! Endlich geht
die Tür auf und heraus tritt ein fremder Greis, vollkommen kahlköpfig – immer noch nicht Bach! Da erkennt der Erzähler, dass er kein Wort Deutsch kann, und stottert konfus nur »Bach-Bach-Bach«. »Ich bin Bach«, sagt der Alte gereizt, und da erst erkennt unser Held, dass wirklich und wahrhaftig Bach vor ihm steht, bloß ohne Perücke. Vor Schreck wacht er auf in unserer Zeit und erkennt, dass er den lebendigen Bach gesehen hat, denn ein solches Detail, dass dieser zu Hause keine Perücke trug, hätte er sich nicht ausdenken können.
»Das ist ja ein Traum!« empörte sich Oneday.
»Nicht schlecht geschrieben«, seufzte Barley.
»Das mit der Perücke ist sehr überzeugend …« Gerda reagierte endlich auf Violos Blicke.
Und wir veränderten unsere Formulierung: Der Roman wurde nicht abgelehnt, sondern – seine Nichtgeschriebenheit wurde gutgeheißen.
Der Unterschied war prinzipieller Natur, aber Violo akzeptierte das nicht.
Um so beharrlicher blieb er bei seinem zweiten Einfall – über Rossini.
Welchen wir noch beharrlicher ablehnten, nach wie vor aufgrund des dritten Punkts.
»Aber wieso verstehen Sie nicht?!« brauste Violo auf, jetzt nur noch an Gerda gewandt. »Erstens, Rossini, das ist trotz allem nicht Bach.
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