Der Symmetrielehrer
blieben wir, drei Mann in einem Boot, unter dem Porträt von Sterne, erneut mit unseren Namen William, John und Ernest. Uns war traurig zumute. Und wir spürten, wie wohl uns nun zumute war!
»Sollten wir nicht wenigstens irgendwas zu Ende schreiben?« sprach William, und wir brachen in Gelächter aus.
Wahrscheinlich nahm nur ich seinen Scherz ernst; ich begriff selbst nicht, wieso ich es plötzlich eilig hatte … Aber plötzlich kam bei mir etwas raus.
Ich hatte vorgehabt, mit dieser Null abzurechnen, diesem Redaktionshengst der Britannica, der sich für seine persönlichen Misserfolge am Ruf großer Männer schadlos hält, doch heraus kam etwas ganz anderes: ein gerechter und ehrlicher Herrscher, den die Macht niederdrückt und der letztlich Maßherzigkeit (schöner Druckfehler!) übt gegenüber den durch ihre Anstrengungen, in unserer Welt wenigstens irgendwas hervorzubringen, zermürbten Schöpfern, ein Kämpfer gegen das Vergessen, ein Ritter der Unsterblichkeit … Ich hatte meinen
Helden mit einemmal liebgewonnen , und nun lief es bei mir wie geschmiert!
Ich glaube nicht, dass John und William sich untreu wurden wie ich, aber ich hatte kaum den letzten Punkt gesetzt, da platzte eine literarische Sensation: Ein unbekannter Autor, sei es aus Kurdistan, sei es aus Pakistan, veröffentlichte den unsere Kritik verzückenden Roman »Wolfgang töten!«.
Er scheute sich nicht einmal, unser Anagramm zu verwenden, und setzte ambitiöserweise über den Titel lediglich einen Vornamen: Murito.
Sein Stern ging auf und ging nicht mehr unter: Nacheinander erschienen die Romane »Das Evangelium des Judas« und »Geschichten der 20. Jahrhunderte«, während wir noch nicht einmal seinen Roman über Mozart bewältigt hatten.
Er war entsetzlich, dieser Intellektualismus für die Armen! Salieri hatte, wie sich erwies, Geld gespart, sich als schwarzer Mönch verkleidet und, die Kapuze überm Kopf, bei Mozart das Requiem in Auftrag gegeben, sehr wohl kalkulierend, Bachs »Matthäuspassion« würde ihm die Seele zerreißen; es gälte nur, den Moment abzupassen, wenn Mozart sich im Schaffensrausch befände, um ihn abstürzen zu lassen wie einen Vogel im Flug.
William rüttelte an der Tür des Safes – der war sicher verschlossen. Die Schlüssel waren bei Gerda geblieben …
Schrecklich, der Gedanke, sie könnten im Komplott sein miteinander! Ich stellte mir das Entsetzen des beraubten Violo (Mike) vor und stürzte davon, ihn zu suchen. Aber auch seine Eltern wussten nicht, wo er war, er habe sich mit einer Frau zusammen aufgemacht, ein Gebäude für das Hotel zu suchen (wenigstens das erwies sich als wahr!) und sei verschwunden.
Ich kehrte mit leeren Händen zurück, und da tauchte wie aus der Versenkung Gerda aus Polen auf, stürzte, ohne zu grüßen, zum Safe, klirrte mit den Schlüsseln – tatsächlich! der Safe war leer, keine Protokolle. »Dieser Bastard! Verräter!« In ihrem Zorn, so schien mir, klang etwas mehr an als Verwünschung.
Happy-End, trotz allem.
Unter diesen Umständen beschloss William, die Villa des Tantchens nun doch zu verkaufen, und niemand suchte ihn davon abzubringen. Da aber begegnete ich dem verschollenen Mike-Violo; ein Törtchen in der Hand, eilte er irgendwohin und begrüßte mich, als wäre nichts geschehen. Ohne auf nähere Einzelheiten einzugehen, erklärte er, das Törtchen bringe er in sein Hotel, der Putzfrau zum Geburtstag, mit den Räumlichkeiten sei er nicht zufrieden und wolle andere suchen, mit der Putzfrau aber sei er zufrieden und wolle sie behalten.
Worauf ich William davon abbrachte, die Villa zu verkaufen, und er war einverstanden, sie an Mike zu vermieten.
O, wenn William gewusst hätte, dass Mike seinerzeit nur zu dem Zweck bei uns aufgetaucht war, um sie zu mieten, und nicht aus Liebe zur Literatur! Ich hingegen war erschüttert darüber, dass er und Gerda gemeinsam an der Inszenierung seiner neuen Oper arbeiteten, war aber glücklich schon allein deshalb, weil sie mit ihm zusammen war und nicht mit Murito. Tja, selber schuld, ich hatte sie mir durch die Lappen gehen lassen. Wieso eigentlich Lappen?
Murito war zum drittenmal auf die Shortlist des Booker-Preises gelangt und schrieb nun im Eiltempo den nächsten Roman zu Ende (wüsste ja gern, wessen), um den Preis auch zu bekommen. Niemals aber würde er »Die Schlacht am Alphabetos« schreiben! Diese Schlacht habe ich gewonnen, also, bin ich etwa schlechter? Und obgleich ich der Satzung nach nicht mehr
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