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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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hatte.
    Zurückgekehrt, legte er nicht ab, sondern plumpste ans Cembalo und begann zu schreiben, wobei die linke Hand mit dem Akkompagnieren nicht nachkam, aber auch die rechte kaum die Feder hielt.
    Die Tinte war jedoch aus. Unter Aufbietung sämtlicher Kräfte rief er, man solle ihm welche bringen – und glitt langsam vom Stuhl zu Boden.
    Und in der Tat, so genial Mozarts Requiem auch ist, in seinem gesamten Schaffen steht allein das Requiem deutlich unter Einfluss, und das ist der Einfluss von Bach.
    Zwei Sonnen können nicht gleichzeitig überm Horizont unseres Planeten aufgehen!
    Oh, wenn er früher davon gewusst hätte! Dann hätte es ihn als Mozart nicht gegeben.
    Dafür haben wir sie jetzt beide, Bach wie Mozart.
    Wir schwiegen, warteten ab, wer als erster …
    »Sie behaupten da in Ihrer Hypothese, Mozart habe vom alten Bach nichts gewusst. Aber was ist mit dessen ›Wohltemperiertem Klavier‹?! Gerade danach hat doch bei Mozart eine ganz neue Entwicklung eingesetzt, bis hin zum eigenen grandiosen Requiem?«
    (Ich wusste gar nicht, dass sie sich so gut in Musik auskannte.)
    Violo wirkte förmlich erschlagen.
    »Stimmt, ja, ein solches Werk gibt es … wie konnte ich das nicht berücksichtigen! Das vernichtet mein Sujet.«
    »Sei's drum!« Oneday winkte ab. »Ein solcher Roman überstiege sogar die Kräfte eines Doktor Mann. Schöner Faustus …«
    Und wir beschlossen nun doch, Violos Nichtschreiben gerade dieses Romans gutzuheißen, wofür wir ihn auch als Vollmitglied in den Klub aufnahmen.
    Das aber nur, verfügten wir, falls der mittelmäßige Salieri zur Hauptfigur und der geniale Mozart zur Nebenfigur ge
macht würde. Am allerlängsten diskutierten wir wie immer über den Titel. »Der Mann, der Bach nicht kannte« ging aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht durch. Erstens war das recht lang und von Gerda schon widerlegt, zweitens wegen Chesterton [ 51 ] . Drittens (alle applaudierten dieser überraschend feinsinnigen Bemerkung Barleys) würde in dem Titel der Inhalt des Werks zu sehr offengelegt. Ein anderer Titel, den Violo umgehend vorschlug – »Das schauende Ohr« – wurde von Gerda entschieden abgelehnt, worauf ich erneut an ihre Gefühle für mich glaubte: Sie wusste nur zu gut, wie lange und beharrlich ich schon an meinem Roman »Das sprechende Ohr« nicht schrieb. Letztendlich wurde der Beschluss gefasst, Violo solle weiter am Titel arbeiten.
    Er sah beflügelt aus dank unserem Beschluss, und wir waren es zufrieden.
    Aber er frohlockte gar nicht aus diesem Anlass.
    »Sie können sich nicht vorstellen«, wandte er sich an Gerda, erregt und mit brennenden Augen, »wie genial Sie meinen dürftigen Einfall in die rechte Bahn gelenkt haben! Schon sehr haben die Söhne Bach ins Abseits gedrängt, und Mozart machte mit wie ein uneheliches Kind. Aber er hörte als erster den wahren Bach, noch im Wohltemperierten Klavier, und ging weiter, als würde er sich selbst bald einholen, bald überholen … Welch ein Gärtner hatte ihn diesem gewaltigen Stamm eines, wie alle meinten, schon toten Baumes aufgepfropft! Gerade im Requiem wurden die beiden eins, gänzlich und unabhängig, und wie tragisch es auch für Mozart gewesen sein mochte, zum ersten Mal die ›Matthäuspassion‹ zu hören, so hörte er doch bereits seine eigene Musik und nicht die eines anderen: Er wurde eins mit ihr, traf den Ton, ganz ohne den Einfluss seines Vorgängers zu empfinden, hatten sie doch beide ein und denselben LEHRER .«
    »Schaut euch das an«, versetzte Oneday, »er hat bereits seine beiden Romane gekreuzt! Und was ist mit Rossini? Hat
der womöglich die Musik aufgegeben, als er zum ersten Mal Mozart hörte?«
    »Das wäre nun schon ganz wunderbar, falls dem so wäre …«, seufzte Violo. »Dann würde ich sie alle unter dem Titel ›Drei Messen‹ vereinen!«
     
    Also – Oneday, Barley, Ernest; Violo, Gerda, Murito. Ein Sextett …
    Genug! Plötzlich war etwas zu Ende. Etwas war geschehen.
    Murito erhielt mit einemmal eine Nachricht aus seiner Heimat und musste uns rasch verlassen – für nicht lange.
    Ohne Protokoll zu debattieren war für uns nicht mehr interessant. So erklärten wir uns das Verschwinden von Violo, obgleich er es anders erklärte: mit der Rückkehr zu seinem Projekt eines kleinen Hotels.
    Er versprach, sofort wiederzukommen, sobald er ein passendes Gebäude gefunden hätte.
    Plötzlich fand sich auch bei Gerda ein triftiger Grund, uns zu verlassen – irgendwas in Polen.
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