Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
Vom Netzwerk:
Generalsekretär verfügt über kein Stimmrecht;
b)
der Präsident verfügt über ein beratendes Stimmrecht;
c)
ein Beschluss kann immer auf die nächste Sitzung vertagt werden.
     
    Die Punkte 2 und 3 lösten zahlreiche Debatten aus.
    »Ja, und dann?« empörte sich Oneday. »Darf ich meinen eigenen Helden nicht umbringen? Womöglich darf ich ihm nicht mal erlauben, den Verstand zu verlieren oder sich das Leben zu nehmen? Worüber schreibt man dann noch? Doch nicht über sich selbst … Wie gelangt man zu einem Sujet in der Sujetlosigkeit des eigenen Lebens? Damit verkehrt sich unsere ›Freiheit für das Wort‹ in das Verbot, ganz gleich was zu schreiben!«
    Barley gab ihm recht und schlug vor, aus dem Arsenal der literarischen Helden die Scheusale und die Besessenen auszuschließen, da sie dem Autor beim Aufbau des Sujets allzu freie Hand ließen.
    Vernünftig wie immer, schlug Gerda vor, den Namen des Klubs mit seiner Satzung zu verknüpfen, nämlich ihn umzubenennen in »Verein zum Schutz literarischer Helden vor ihren Autoren« und damit in Beziehung zu setzen zu eher öffentlichkeitsrelevanten Themen wie Wahrung des kulturellen Erbes sowie Natur- und Umweltschutz. Sie verstand es doch stets, alles auf des Pudels Kern zu bringen …
    Die Punkte 4, 5 und 6 riefen keine Meinungsverschiedenheiten hervor. Im Grunde war das ein und derselbe Punkt, von jedem der drei Gründungsväter des Klubs unterschiedlich formuliert. Wir waren vernünftig genug, nicht zu debattieren und jede Formulierung gebührend zu würdigen.
    Mich beschäftigte das alles immer weniger, ich hörte nicht zu und dachte darüber nach, wie ich meinen Laurence Sterne von dem Verbot, über große Männer zu schreiben, befreien könnte.
    »Überlegt doch mal«, gab ich zu bedenken, »wie ›groß‹ Sterne wirklich ist, wo ihn alle komplett vergessen haben! In irgendsoeinem Russland kennt man ihn besser als im heimischen England … In der Britannica wurde ihm weniger als eine Spalte zugestanden! Wer hat bloß bei unserer Britannica das Sagen!! Diesem Bürohengst, der zwei Jahrhunderte später mit dem Genie persönliche Rechnungen zu begleichen hat, dem werde ich meinen Roman ›Berichtige, Britannica!‹ widmen! Stellt euch mal vor, er nennt Sterne lediglich einen ›englischen Humoristen des 18. Jahrhunderts und Sohn eines Offiziers‹, während er einem läppischen Jerome K. Jerome den Rang eines Schriftstellers zubilligt! Ich dagegen halte Sterne für den wahren Stammvater unserer Bewegung, schließlich hat er nichts zu Ende geschrieben! Und ist sogar gestorben, weil er sich selbst Gewalt antat, das Unvollendete weiterführen wollte … Ein tragisches, ein heroisches Geschick! Ich schlage vor, diesen ›Nichtsche‹ von der Wand zu nehmen und gegen das Porträt Sternes auszutauschen, unserem Klub aber seinen edlen Namen beizugeben!«
    Und ich setzte mich klopfenden Herzens, sah und hörte nichts mehr. Leider, denn gerade Punkt c) unserer Zusatzklausel rief die lebhafteste Diskussion hervor.
    Den Klub in Verein umzubenennen war, wie Gerda erklärte, auch aus praktischen Erwägungen ratsam – Steuern, Publicity usw. (Es kam der Verdacht auf, dies gehe auf eine Anregung Muritos zurück, der kein Stimmrecht hatte.)
    Im Endeffekt wurde mein Punkt überhaupt nicht erörtert (»Tristram Shandy« hatten auf meine Anregung alle schon gelesen und gebührend gewürdigt), und man schlug mir vor, fürs erste dafür zu sorgen, dass der Klub ein würdiges Porträt seines Stammvaters bekäme. Ich fühlte mich beflügelt – noch ein Schritt, und meine Freunde wären aus Sterne-Verehrern zu Sternianern bekehrt. Punkt c) der Zusatzklausel wurde nun
so formuliert: Das Problem der Umbenennung des Klubs ist weiterhin zu diskutieren.
     
    Zur nächsten Sitzung brachte ich ein Porträt mit und hängte es auf anstelle – niemand bemerkte es.
    Insofern das Ziel des Vereins nun als »Schutz literarischer Helden« formuliert war, wurde auch beschlossen, dem Klub nicht den Namen von Sterne, sondern von Tristram Shandy beizugeben. Der Vorschlag kam von Barley, und Einwände hatte niemand, ich schon gar nicht.
    Wir waren auch wirklich ganz schön erschöpft von unserer Blutrünstigkeit. Trotz der so strengen Satzung ging die Prüfung meines Kandidaten äußerst glatt über die Bühne.
    Ehemaliger Musiker, ein Schlangenmensch mit dem Aussehen eines fuchsroten Negers, der niemals irgendwas gelesen hatte, gefiel er uns allen sofort, auch ohne Instrument (ein Kontrabass

Weitere Kostenlose Bücher