Der Täter / Psychothriller
konnte, brüllte jemand aus dem Haus: »Wer ist denn da, Schatz?«
Die Frau des Holzfällers hätte liebend gern die Tür wieder zugemacht, doch stattdessen öffnete sie sie weit und rief: »Es ist Detective Robinson, er will dich sprechen.« Sie wies mit dem Kopf Richtung Garten, und Robinson trat ein. Er sah auf den ersten Blick, dass es für ein Haus mit kleinen Kindern außergewöhnlich ordentlich war. Auf einer Etagere standen gepflegte Pflanzen, nirgends lag Spielzeug herum. Im Windfang hing über einem Haussegensspruch ein Kruzifix. Auf seinem Weg kam er am üblichen Wandschmuck vorbei: gerahmte Fotos von Babys und Eltern, ein paar Werbeposter zu wenig lohnenswerten Kunstausstellungen.
Als er jedoch das Wohnzimmer betrat, blieb er überrascht stehen. Hinter der Sofaecke hing ein großes Gemälde in leuchtenden Farben, im Stil der naiven Malerei von Haiti – zweifellos von der Hand eines Künstlers mit wenig Bildung und herausragendem Talent. Es stellte eine Marktszene dar, in der die großflächig aufgetragenen leuchtenden Farben zu den kräftigen Schwarztönen in den Gesichtern der einfachen Menschen, die den Platz bevölkerten, einen lebhaften Gegensatz bildeten. Es übte einen einzigartigen Zauber aus und zog Robinson augenblicklich in seine kleine Welt, als gäbe es ein wenig von den Geschichten der Menschen auf der Leinwand preis. Der Detective starrte darauf und wunderte sich, so etwas im Haus des Holzfällers vorzufinden. Er hatte schon viele Gemälde dieser Art gesehen, die allerdings gewöhnlich in den angesagten Galerien der Reichenviertel von South Miami und Coral Gables hingen. Die Gutbetuchten standen auf diese Kombination aus gegenständlicher Ausgestaltung und primitiver Ursprünglichkeit. Die besseren Werke aus der verarmten Karibik gelangten an die Wände der Millionen-Dollar-Villen mit Blick über die Biscayne Bay.
»Irgendwie anders, was?«, meinte der Holzfäller leise. Er hatte den Raum durch eine Nebentür betreten.
Walter Robinson riss sich los. »Ein schönes Bild«, staunte er.
»Hätten Sie hier nicht erwartet, hm?«
»Nein«, räumte Robinson zögernd ein.
»Vor einer halben Ewigkeit hat meine Frau Kunst studiert, ich meine, vor den Kindern und den Hypotheken und so, und sie hat es von einer Reise da runter mitgebracht. Hab nie verstanden, wieso jemand freiwillig Ferien auf Haiti macht. Nur ein Haufen Leute, die mit jeder Sekunde ärmer werden. Deshalb versuchen sie ständig, rüberzukommen.«
»Die Küstenwache hat gerade erst wieder einen randvollen Kutter aufgebracht«, bestätigte Robinson.
»Da haben Sie’s«, erwiderte der Holzfäller. »Na, jedenfalls schleift meine Frau das Ding seitdem überall mit hin und sagt, eines Tages wäre es einiges wert. Und wissen Sie was? Das Ding würde inzwischen für zehn-, fünfzehntausend weggehen. Beste Investition, die wir je gemacht haben, auch wenn es da an der Wand irgendwie fehl am Platz ist. Muss es mal versichern lassen. Verdammt, ich hätte lieber ein sechs Meter langes Aquasport. Aber, was soll ich sagen, nach einer Weile hängt man irgendwie dran.«
»Kann ich mir denken.«
»Ich meine, ist schon irgendwie komisch, oder?«
»Inwiefern?«
»Na ja, irgend so ’n armes Schwein hat das Ding gemalt und vielleicht ein paar Kröten dafür bekommen, vielleicht mal gerade genug für ’ne Mahlzeit oder ein neues Huhn oder ’ne Tankfüllung oder so. Aber das war’s auch schon. Sein Bild, das schafft es locker hier rüber in die Staaten. Der Kerl würde wahrscheinlich alles dafür geben, selber herzukommen, wie so viele von den armen Schweinen. Und sein verdammtes Bild ist so viel wert; von der Summe kann er sein Leben lang nicht mal träumen. Das ist schon irgendwie komisch, oder?«
»Ja.«
»Und wetten, dass diese Gemälde es nicht nötig haben, in irgendeinem zusammengeschusterten, klapprigen Boot übers Meer zu kommen, das größere Chancen hat, fünfzig Meilen vor der Küste zu sinken, als heil am Strand zu landen, he?«
Der Holzfäller drehte sich um und ließ sich behutsam in einen Sessel sinken.«
»Sind Sie ’n Kunstliebhaber, Walter?«
»Ich interessier mich dafür.«
»Konnte nie viel damit anfangen, aber was versteh ich auch davon? Meine Frau hat mich früher mit zu Ausstellungen und so geschleift. Hab gelernt, die Klappe zu halten. Einfach nur rumzustehen, zu nicken, den importierten Sprudel zu trinken und die Hors d’œuvres zu futtern. Ich sag immer zu allem Ja und Amen. Erleichtert die Sache
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