Der Täter / Psychothriller
dieses makellose Heim getragen. Als sie hinter ihm die Tür zuschlug, hörte er, wie das Baby schrie.
Espy Martinez hasste es, wie sehr Tommy Alter die Schadenfreude anzuhören war.
»Ich wusste, dass Sie zur Vernunft kommen würden, Espy«, feixte er.
»Nein, Tommy, das sehen Sie nicht richtig. Ich beuge mich ausschließlich dem Gebot der Zweckdienlichkeit und nicht der Vernunft.«
Sie saßen in einer Ecke der Cafeteria im Justizgebäude. Vor ihnen dampfte der Kaffee in ihren unberührten Tassen. Die anderen Tische waren von ein paar Kollegen beider Sparten bevölkert, selten jedoch gleichzeitig, und wenn es doch einmal vorkam, dann meist, um Beleidigungen und Drohungen auszutauschen oder aber, wie in diesem Fall, einen Deal auszuhandeln. Die anderen Anwälte sahen gelegentlich zu ihnen herüber, doch da sie stillschweigend verstanden, was zwischen ihnen ablief, mieden sie die nächstgelegenen Tische und schufen so eine Pufferzone um die Verhandlungsparteien.
»Nun ja, egal wie Sie es nennen wollen. Wie sieht Ihr Angebot aus?«
»Um eine Haftstrafe kommt er nicht herum, Tommy. Er kann nicht einfach einen Polizeibeamten anschießen und glauben, er geht ungestraft daraus hervor.«
»Wieso nicht? Die Polizei kommt, um ihn wegen etwas zu verhaften, das er nicht getan hat. Die Polizei schlägt seine Tür ein und schwingt die Waffen. Er kann von Glück sagen, dass er dabei nicht draufgegangen ist. Er kann von Glück sagen, dass
Sie
ihn nicht für etwas erschossen haben, dass er nicht getan hat. Meiner Meinung nach müssten Sie alle sich bei ihm entschuldigen.«
»Er war Zeuge eines Mordes und hat anschließend das Opfer beraubt. Da kann ich mich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass eine Entschuldigung nicht angemessen wäre.«
»Wie auch immer, keine Haft. Wenn’s sein muss, eine Bewährungsstrafe. Schraubt die Anklage runter – Einbruch; tätlicher Angriff, aber er wandert nicht in den Knast. Nicht, wenn er euch dabei hilft, einen Killer zu finden, vielleicht sogar weitere Morde zu verhindern.«
Espy Martinez atmete hörbar ein. »Was sagen Sie da, Tommy? Weitere Morde? Was hat er zu Ihnen gesagt? Wissen Sie etwas?«
»Hab ich da einen Nerv getroffen, Espy? Nein, ich kann nicht behaupten, dass ich irgendetwas sicher wüsste, reine Spekulation, wissen Sie. Denke einfach mal, dass es einen Grund gibt, weshalb die alte Frau umgebracht wurde. Immerhin möglich, dass derselbe Grund auch auf andere zutrifft. Nur eine Vermutung.«
Martinez zögerte, und Alter grinste.
»Sie bekommen, was Sie brauchen, Espy. Einen echten, lebenden Augenzeugen. Es mag für Sie nicht der beste Deal aller Zeiten sein, aber es ist auch nicht der schlimmste, den dieses Gemäuer gesehen hat.«
»Volle Kooperation. Umfassende Zeugenaussage. Täterbeschreibung. Er arbeitet mit dem Phantomzeichner, tut alles, was Walter Robinson von ihm will. Und dann steht er bitte schön für einen Prozess zur Verfügung und sagt wahrheitsgemäß aus, wenn er aufgerufen wird. Ist das klar? Wenn er auch nur ein einziges Mal zögert oder was Falsches oder Irreführendes äußert, wenn er unentschuldigt fernbleibt, wenn er sich auch nur ein einziges Mal im Ton vergreift, wandert er in den Bau. Und zwar für lange. Sind wir uns da einig, Tommy?«
»Das ist akzeptabel. Handschlag drauf?«
»Bin gerade nicht in Stimmung, Ihnen die Hand zu schütteln, Tommy.«
Er lachte. »Hatte irgendwie auch nicht damit gerechnet. Nehmen Sie’s nicht so tragisch, Espy. Er hilft Ihnen, Ihren Mann einzubuchten, und denken Sie mal, in welchem Glanz Sie dann erstrahlen. Denken Sie einfach daran, wenn wir zum Richter gehen. Ich sorge dafür, dass wir für morgen Vormittag auf seinem Terminkalender stehen. Die können Jefferson schon früh rüberbringen. Er ist gerade zum Rollstuhlfahrer befördert.«
Espy Martinez nickte. »Ich möchte, dass wir während der regulären Sprechzeiten hingehen – so still und unauffällig wie möglich. Nur eine kurze Absprache, und danach kommt Jefferson mit dem Detective aufs Revier.«
Alter lächelte und stand auf. »Klar. Klingt vernünftig.«
»Wir müssen die Integrität der Ermittlungen wahren.«
»Was für eine wohlgesetzte, gewichtige Formulierung. Selbstverständlich müssen Sie das.«
»Tommy, machen Sie mich nicht noch wütender, als ich ohnehin schon bin.«
»Wieso sollte ich?«, fragte er, ohne eine Antwort abzuwarten. Stattdessen drehte er sich um und durchquerte die Cafeteria. Bevor er zur Tür hinaus war, sah
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