Der Täter / Psychothriller
Eigenschaften lebte. Es hätte ihm gefallen, wenn jemand wie Walter Robinson oder auch Espy Martinez hätten sehen können, wie er sich veränderte, und erfahren würden, dass er gekämpft hatte, um ihnen das Leben zu retten. Wenn sie ihn fanden, hoffte er, würden sie vielleicht begreifen, dass er als ein vollkommen anderer Mensch gestorben war.
»
Wer bin ich,
Mr.Jefferson?«
Jetzt wusste er die Antwort auf die Frage: der Tod.
Doch er beschloss, dem Mann und dem Messer die Genugtuung zu verweigern. Stattdessen antwortete Leroy Jefferson in einem entschlossenen Ton, der über seine ausgetrocknete Kehle und die Übelkeit der Panik siegte: »Alter Mann, ich habe keine Ahnung von all diesen anderen Leuten. Mag ja sein, dass sie Ihnen gesagt haben, was Sie hören wollten. Vielleicht auch nicht. Das ist ihre Sache. Ich weiß nur eins: Ich erzähle Ihnen rein gar nichts.«
Und dann fügte er sich in die erbarmungslose Agonie, die ihn erwartete.
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21
Hass
S imon Winter dachte: Ich hätte ihn fassen können.
Doch im nächsten Moment setzte er hinzu: Er hätte auch mich erwischen können.
»Patt«, flüsterte er.
Der alte Detective saß in einem tiefen Sessel zwischen Reihen von Büchern und Zeitschriften der Stadtbibliothek Miami Beach. Neonlichter und das stetige Dröhnen der Klimaanlagen schirmten den Raum von der glühenden Hitze ab, die draußen brütete. Für eine Bibliothek herrschte hier bedeutend weniger Respekt vor dem Gebot äußerster Ruhe, als man erwartet hätte. Kräftige Schuhe klackten unüberhörbar auf dem Linoleumboden; ein alter Mann schnarchte über der Zeitung auf seinem Schoß; zwischendurch drangen laute Stimmen herüber, als eine ältere Frau versuchte, ihrer beider Schwerhörigkeit zum Trotz, einer anderen etwas zu erklären. Das rege, geräuschvolle Treiben hätte einen wahren Akademiker zweifellos geärgert; doch die Einrichtung diente diversen Zwecken zugleich: zur Informationsbeschaffung, aber auch als eine kühle, gut ausgeleuchtete Welt, in der sich ältere Bewohner von Miami Beach trafen, um an einem sicheren Ort ein paar unbekümmerte Stunden zu verbringen.
Dies war, gestand er sich ein, auch mehr oder weniger der Grund, weshalb er selbst da war. In den vierundzwanzig Stunden, seit der Schattenmann aus seiner Wohnung geflohen war, hatte Winter mehrere Beschlüsse gefasst. Zum einen würde er vorerst über diese Bedrohung seiner Person Stillschweigen bewahren. Zweitens wusste er, dass er härter und schneller würde arbeiten müssen.
Er hatte eine Menge Material über den Holocaust rund um sich aufgestapelt, mit dem die Bücherei von Miami Beach aus naheliegenden Gründen bestens ausgestattet war. Ungeduld und Frustration nagten an ihm. Er konnte die Überzeugung nicht loswerden, dass irgendwo in der Vergangenheit jene Informationen zu finden waren, die die Tür zur Gegenwart aufstoßen würden. Er wusste einfach nicht, wie er diesen Ausschnitt der Geschichte finden sollte. Sämtliche Bücher, die sich neben ihm – auf einem kleinen Tisch und zu seinen Füßen – stapelten, sagten ihm eine Menge über die Nazis. Hier konnte er nachlesen, was die Nazis wo und wie wem angetan hatten. Es war ein unfassbares Phänomen, dachte er, eine Welt zu organisieren, die sich so vollkommen dem Terror verschrieben hatte, dass er zum normalen Alltag wurde, und Winter fragte sich, ob nicht das zu den größten Verbrechen zählte. Doch eine solche Überlegung half ihm kein bisschen dabei weiter, den Schattenmann zu verfolgen; es sagte ihm nicht das Geringste über die Psyche dieses Mannes, und auch in den vielen Büchern fand er nichts Erhellendes zu dieser Frage. Zugegeben, einige versuchten, die Persönlichkeitsstrukturen hinter den Taten der Männer in schwarzer Uniform zu ergründen. Es gab politische Erklärungen dafür, was Männer dazu brachte, der Nationalsozialistischen Partei beizutreten oder an SS -Aktionen teilzunehmen, Rechtfertigungen für Mord und Genozid zu finden. Diese politischen Erklärungen überlappten sich mit psychologischen Profilen, doch keines davon kam auch nur andeutungsweise dem des Schattenmannes nahe, weil er, wie Frieda Kroner und Rabbi Rubinstein deutlich gemacht hatten, nie ein Nazi gewesen war; er hätte eigentlich zu ihren Opfern gehört. Und doch war es ihm gelungen, jene Gleichung umzukehren und unbeschadet aus Ereignissen hervorzugehen, die jeden Betroffenen für immer prägen sollten. Er war etwas gänzlich anderes, ein einzigartiger Mitwirkender im
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