Der Täter / Psychothriller
während er ihr zuflüsterte, sie sollte für Leroy Jefferson die Höchststrafe herausschlagen, was er allen, die mithörten, nicht weiter zu erläutern brauchte. Noch am selben Tag hatte er ein Memo herumgeschickt, in dem er Espy Martinez für ihre Geistesgegenwart lobte, auch wenn sie selbst sich eher mit dem sprichwörtlichen blinden Huhn verglich. Dann hatte er alle daran erinnert, dass sie vereidigte Gesetzeshüter seien und sich daher bei entsprechenden Anlässen angemessen bewaffnen sollten, um – so wie Martinez – nach angemessener Überlegung, falls es die Umstände erforderlich machten,
angemessen
zu reagieren.
Espy Martinez genoss die Aufmerksamkeit und ließ sich gern ein wenig von ihrer Arbeit ablenken. Als Walter Robinson sie anrief, war sie so aufgeregt, als sei er der Grund für alle Geschehnisse.
»Na, Espy? Wie geht’s denn so?«
»Also, meine Kollegen bestehen darauf, jedes Mal, wenn ich vorbeikomme, die Melodie von
Zwölf Uhr mittags
zu pfeifen. Ansonsten läuft’s bestens.«
Er lachte. Er hörte ein gewisses Timbre in ihrem Ton.
»Wir müssen uns zusammensetzen und den Fall festzurren.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Meine Konzentration hat ein bisschen gelitten.«
»Haben Sie mit Tommy Alter gesprochen?«
»Bis jetzt noch nicht. Das heißt, nur ein Mal. Jefferson wurde in Abwesenheit unter Anklage gestellt. Das Krankenhaus wird ihn nicht vor Ablauf einer Woche ins Gefängnis überführen.«
»Ich habe heute Morgen seine Fingerabdrücke genommen. Alter war dabei, hat aber nichts gesagt. Hat nur zugesehen. Jefferson hatte offenbar Schmerzen, was mich nicht unbedingt zu Tränen rührt. Das Bein ist noch im Streckverband, wird allerdings morgen eingegipst. Der Arzt sagt, er hätte noch zwei, vielleicht drei Operationen vor sich. Ich hab dem Doktor erklärt, das sei reine Zeitverschwendung. So richtig laut, damit es Jefferson und Alter hören konnten.«
»Eiskalt«, meinte sie und lachte.
»Na ja, wie heißt es noch so schön? Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, auch wenn es hier streng genommen weder um das eine noch das andere geht …«
»Und wie geht’s jetzt weiter?«
»Nun, ich schicke die Fingerabdrücke der Forensik. Damit müssten wir eindeutig beweisen können, dass er in der Wohnung war. Ich hab ihn für die Verbrecherkartei fotografiert und sein Konterfei meinen Busfahrern gezeigt, und die haben bezeugt, dass Jefferson zur richtigen Zeit im richtigen Bus gesessen hat. Morgen früh fahr ich zu Kadosh und lege ihm die Fotos vor. Dann haben wir noch den Pfandverleiher, der mir das Diebesgut bestätigt. Ich hab dem armen alten Reginald und sogar der kleinen Yolanda eine Wagenladung an Straftaten angehängt. Das meiste davon war Schwachsinn, aber die beiden spuren. Lion-Man will sie sich im Prozess persönlich zur Brust nehmen, hat er gesagt. Die Durchsuchung von Jeffersons Bude hat nichts aus Sophies Wohnung zutage gefördert. Trotzdem ist es, denke ich, alles in allem ziemlich wasserdicht.«
Espy nickte, änderte jedoch den Ton: »Alter wirkte ziemlich siegessicher, ist mir aufgefallen.«
»Mir auch.«
»Wieso?«
»Keine Ahnung. Kann ich mir nicht erklären, außer damit, dass er ein arroganter Schnösel ist, der sich grundsätzlich so lange siegessicher gibt, bis er begreift, dass ihm seine Verteidigung wie ein Kartenhaus zusammenfällt. Dann kommt er winselnd an und bettelt um einen Deal. In ein paar Wochen ist es sicher so weit, bis dahin gönnen Sie ihm seinen Spaß.«
»Kein Deal zwischen Anklage und Verteidigung«, erwiderte Espy Martinez. »Order vom Chef.«
»Gut. Er wird’s mit Sicherheit versuchen. Darauf wird er die Verteidigung aufbauen: in ein paar kleinen Schwachstellen stochern, um uns einen Schrecken einzujagen und uns zur Mindeststrafe von fünfundzwanzig Jahren zu bewegen, weil wir das Risiko mit den Geschworenen scheuen.«
»Ich glaube nicht, dass sich die Staatsanwaltschaft darauf einlässt.«
»Aber er wird es versuchen. Solange er Jefferson vor dem Todestrakt bewahrt, kann er das als Sieg für sich verbuchen.«
»Ich wünschte, wir hätten ein Geständnis.«
»Ja, das wäre perfekt. Und ich hätte eines aus dem Kerl herausgekitzelt, wenn Alter nicht aufgekreuzt wäre.«
»Die Geschworenen haben bei einem Mordfall immer gerne ein Geständnis. Gibt ihnen das sichere Gefühl, dass sie das Richtige tun. Besonders, wenn sie über die Todesstrafe abstimmen müssen.«
»Ich weiß. Aber ansonsten haben wir den Fall praktisch in
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