Der Tag, an dem das UFO vom Himmel fiel
Himmel gab es etwas Neues – etwas, von dem ich nichts in meinen Astronomiebüchern gelesen und das ich auch nicht auf meinen Sternenkarten gefunden hatte. Ich wusste nicht, was es war … An diesem Tag hatten wir im Musikunterricht das Lied von dem Mädchen gesungen, das nie heiraten wollte, und Rosa saß rechts hinter mir. Sie sang laut und deutlich, und ich dachte, wie hübsch ihre Stimme doch war. Dann drehte ich mich um, und sie sah mich mit ihren warmen braunen Augen direkt an.
Sie lachte, als sie sang:
O I’ll not marry a man who’s shy
For he’d run away if I winked an eye.
And I’ll not marry at all, at all
And I’ll not marry at all.
Erst dachte ich, sie lachte mich an, um mir zu sagen, dass das Lied recht hatte, dass schüchterne Jungen wie ich es nicht wert
sind, geheiratet zu werden. Dann merkte ich, dass es um etwas ganz anderes ging.
Sie ist weg. Doch immer noch sehe ich sie lachen. Ich sehe sie, verschwitzt und keck, wie sie darauf wartet, ob ich nun mit ihr tanzen will oder nicht. Und ich verfluche mich: Idiot, Idiot, Idiot, und kann nicht schlafen.
Der Einbruch in unser Haus fand am Freitag, dem 18. Januar 1963 statt. Vier Tage später klingelte das Telefon in unserer Küche.
»Jeff?«, sagte ich, als ich den Hörer abnahm.
»Zähl die Tage.«
Die Worte klangen wie ein seltsames Krächzen, als hätte der Anrufer eine hohe Stimme und versuchte, tiefer, männlicher zu klingen. »Jeff«, sagte ich. »Hör auf damit, okay? Das ist nicht komisch.«
Keine Antwort. Ich merkte, dass es nicht Jeff war und auch sonst niemand, der mir einen Streich spielen wollte, sondern dass es ernst war, sonderbar. Konnte es dieselbe Stimme sein, die gesagt hatte: Bis zur Samung? Allerdings waren es weniger akustische Äußerungen gewesen, eher etwas, das in meinem Kopf widerhallte. Diese Worte nun kamen aus einer Kehle, von Stimmbändern, die mir menschlich schienen.
Ich wartete, spürte etwas, das sich anfühlte, als krabbelten Käfer auf meiner Haut herum. Der Anrufer, wer oder was es auch sein mochte, wartete ebenfalls. Schließlich sagte ich: »Ich verstehe nicht. Von wann an soll ich die Tage zählen? Bis wann?«
Wieder Stille. Hatte er aufgelegt? Ich glaubte es nicht, obwohl aus dem Hörer kein Laut kam. »Vorwärtszählen?«, fragte ich. »Oder rückwärts?«
»Rückwärts. Folge dem Mond.«
Dann ein Klick, und ich wusste, dass ich alles gehört hatte, was ich hören würde. Ich fing an, Jeffs Nummer zu wählen, um ihm zu erzählen, was passiert war. Dann stutzte ich. Vielleicht musste ich es allein klären. Es war später Nachmittag. Ich war allein im Haus. Ich ging hinüber zum Kalender an der Küchenwand und bestätigte mir, was ich in Erinnerung hatte. Neunundzwanzig Tage lagen zwischen meiner UFO-Sichtung und dem Einbruch. Ein Mondmonat besteht aus neunundzwanzigeinhalb Tagen.
Folge dem Mond.
Jeff und Rosa gingen Hand in Hand, als wir von der Bibliothek zur Bushaltestelle liefen, vorbei am Brunnen auf dem Logan Square. Mit seiner hübschen Stimme sang er Songs aus Brigadoon. Jeff ist verrückt nach Musicals, schon damals kannte er Dutzende von Songs. Er äffte auch meine schreckliche Stimme nach, wenn ich sang. Also hörte ich auf, es zu versuchen. »There’s a smile on my face for the whole human race«, sang er für Rosa, und ich hätte gern in den Refrain mit eingestimmt: »It’s almost like being in love.« Doch die Worte wären nur als tonloses Krächzen herausgekommen, als würde einer der bronzenen Frösche um den Brunnen zum Leben erweckt. Schweigend lief ich hinter ihnen.
Es war so kalt, dass der Brunnen eingefroren war. Die Frösche, aus deren Mäulern normalerweise Wasserbogen spien, trugen stattdessen Eiszapfenbärte. »Wie der Weihnachtsmann!« , johlte Jeff, und ich versuchte zu lachen. Doch die bärtigen Frösche erinnerten mich an meinen Urgroßvater in Litauen, dessen Gesicht ich von einem Bild im Haus meiner Großmutter kannte. Scham ließ mich in meinem Wintermantel frieren. Was würde der fromme, graubärtige Asher von mir denken, seinem Urenkel, dem Träger seines Namens, der am
Sabbat mit Freunden Bus und Bahn fuhr, dem Schegez und der Schickse, dem Mädchen, dessen blasses Gesicht in meinem Tagträumen wie ein aufgehender Mond über mir hing?
Meine Mutter ließ viele Traditionen hinter sich, als sie meinen Vater heiratete. Diese nicht. Es war okay gewesen, dass ich nichtjüdische Freunde hatte, sogar Mädchen. Aber das war, als ich noch klein war und
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