Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
Vom Netzwerk:
Geschmack, so perfekt lief – ein Dritter hätte uns nur gestört. Ich wollte Marie für mich alleine. Ich wollte auch in Zukunft mit ihr ungewöhnliche und extreme Reisen machen, ganze Sonntage ungestört im Bett verbringen, die Nächte durchschlafen oder durchfeiern. All das wäre mit einem Kind kaum möglich gewesen. Und wie oft entschieden wir uns spontan, zu zweit oder mit Freunden für ein paar Tage nach Paris, Madrid, London oder Moskau zu fliegen. Solche Aktionen fand ich immer ausgesprochen reizvoll und hatte noch lange nicht genug davon.
    Ich wollte gemeinsam mit Marie frei sein. Und zu dieser Freiheit gehörte für mich ein großer Traum, der auch Marie begeisterte. Wenngleich ich heute einsehen muss, dass ich häufiger davon sprach als sie, dass meine Euphorie größer war als ihre. Ich sehnte mich danach, irgendwo ein zweites Zuhause zu finden, außerhalb von Deutschland, quasi als Zweitwohnsitz. Marie hatte sehr flexible Arbeitszeiten in ihrer Buchhandlung, und für mich als Freiberufler wäre ein solches Lebensmodell allemal kein Problem gewesen. Während unserer Reisen überlegten wir immer, ob das jeweilige Reiseland für die Realisierung dieses Traumes infrage käme. Und je mehr wir über alle praktischen Fragen nachdachten, wie Verkehrsverbindungen, Anreisezeit, Sicherheitsaspekte und so weiter, desto klarer wurde uns, dass unser Traumplatz irgendwo in Europa sein sollte. Zahllose Gespräche führten wir darüber, und viele tausend Kilometer legten wir an Erkundungsfahrten zurück, um dann schließlich zwei, wenn auch recht unterschiedliche Gegenden in der ganz engen Auswahl zu haben: die Alpenregion und das südliche Island. In Island hatten wir uns sogar schon mehrere kleine Häuschen in der Umgebung von Vik i Myrdal, dem südlichsten Ort der Hauptinsel, angeschaut. Es war sensationell schön.
    Ein Kind hätte die Verwirklichung dieses Traumes um Jahre und Jahre verzögert, und ich wollte nicht irgendwann, alt und grau, am Ziel meiner Sehnsüchte ankommen. Also war für mich absolut klar: Marie durfte nicht schwanger werden!
    Wir hatten nie Sex mit Präservativen, dafür nahm Marie die Pille. Aber das Leben hatte mich gelehrt, dass jede Frau, die aus tiefstem Herzen schwanger werden will, auch trotz Pille schwanger wird. Entweder passiert irgendetwas Unerklärliches, oder das Unterbewusstsein diktiert eine falsche Einnahmezeit – oder sie unterbricht ganz einfach bewusst, aber heimlich den Einnahmezyklus. Also wollte ich kein Risiko eingehen – und tat etwas, das ich, aus heutiger Perspektive betrachtet, unfassbar finde. Ich tat es heimlich, im dritten Jahr unserer Liebe. Marie befand sich auf einer zweiwöchigen beruflichen Reise, und am ersten Tag ihrer Abwesenheit habe ich mich sterilisieren lassen.
    Der Chirurg, ein alter Freund von mir, hatte ganze Arbeit geleistet, so dass Marie nichts bemerkte. Der Schnitt war ausgesprochen klein und sehr schnell wieder verheilt. Ich fühlte mich auch nicht meiner Manneskraft beraubt, wie so manche Betroffene es nach einem solchen Eingriff berichten. Also ging ich schnell wieder zur Tagesordnung über, und Marie hatte keinen blassen Schimmer von dem, was vorgefallen war. In den ersten Monaten danach erlebte ich geradezu ein Stimmungshoch. Keine Spur von schlechtem Gewissen. Im Gegenteil. Ich dachte, nun könne unserem Glück nichts mehr entgegenstehen, die Welt und die Zukunft gehörten uns. Mir und Marie. Erst nach ungefähr einem Dreivierteljahr meldete sich eine innere Stimme.
    Heute muss ich sagen: Wie beschämend, dass ich reifer und erwachsener Kerl so lange dafür brauchte, mein Verhalten kritisch zu hinterfragen! Das allerdings tat ich dann – wenn auch zunächst nur zögerlich. Je mehr Zeit aber verging, desto größer wurde die Gewissenslast. Zwar nahm Marie noch immer die Pille, und vom Schwangerwerden war in jenen Monaten gar nicht die Rede, jedoch wurde mir absolut klar, dass ich sie aufs Übelste hintergangen hatte. Ich kam mir unendlich schäbig vor.
    Ein Jahr nach dem Eingriff schließlich beichtete ich, erzählte Marie alles – und hatte eine irre Angst, dass sie mich verlassen würde. Aus Enttäuschung. Vor Zorn. Und was tat sie?
    Sie sagte nur: »Du Schwein«, drehte sich um und ging (das Geständnis hatte in meiner Wohnung stattgefunden). Das schlechte Gewissen lähmte mich derart, dass ich sie weder aufzuhalten versuchte noch irgendetwas zu meiner Entschuldigung oder Verteidigung vorbrachte. Eine halbe Stunde später kam eine SMS

Weitere Kostenlose Bücher