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Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
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Wetterumsturz das Gefühl: Du hast es nicht anders verdient! Du hast es genau so verdient! Und jetzt musst du es ertragen, du musst es aushalten. Alles resultiert aus deinem verkommenen Handeln. Deine Vergangenheit schlägt auf dich zurück. Begehre nicht auf! Unternimm nur das Nötigste! Erdulde! Die Dunkelheit, die Einsamkeit, die Kälte sind gerechte Strafen .
     
    Sogar der Lärmhölle der vergangenen Woche habe ich noch getrotzt. Was war schon der Lärm gegenüber all dem, was ich Marie angetan hatte?
     
    Als ich dies alles vorhin Igor gegenüber äußerte, hatte ich den Eindruck, er würde erwidern: Aber das ist doch völlig absurd! Was hat eine so exorbitante Katastrophe mit deinen kleinen Lebensverfehlungen zu tun? Du scheinst dich ja sehr wichtig zu nehmen, wenn du denkst, irgendetwas, nennen wir es Schicksal oder Gott, habe genau dich auserwählt, und nur dich, damit du so für deine schlechten Taten büßt. Welch ein Unsinn!
    Igor hätte zweifellos Recht gehabt! Und doch glaube ich, weil ich so dachte und empfand, habe ich vor drei Monaten nicht mehr unternommen. Die Schuld hat mich gelähmt und mich dieses merkwürdige Schicksal annehmen lassen. Zumal meine Lebensenergie seit Maries Ende ohnehin erschöpft schien. Fast alles war mir gleichgültig geworden. Die Jahre zogen an mir vorbei, und ich stand unbeteiligt daneben. Wären die Menschen und das Leben um mich herum vor Maries Tod verschwunden, niemals hätte ich mich so verhalten, wie ich mich schließlich verhalten habe.
    Warum denke ich erst jetzt über diese Dinge nach? Ich weiß es nicht. Hatte ich es mir in meiner Resignation allzu bequem gemacht? Vielleicht, ja. Der Lärm dann allerdings war etwas sehr Entscheidendes. Er trieb mich an meine Grenzen. Ich hätte es nicht mehr lange ausgehalten. Noch entscheidender aber war die Erlösung von der akustischen Hölle, die Wiederkehr der Stille.
    Ich habe das Gefühl, erst jetzt alle Zusammenhänge zu sehen. Wie seltsam! Nach so vielen Monaten irrealen Lebens.
     
    Wie ist meine Gefühlslage im Moment? Gelassen? Nein, das wäre zu viel gesagt! Aber die Angst ist auf ein erträgliches Maß geschrumpft. Ich habe inmitten des Unglücks die Erfahrung gemacht, dass es positive Veränderungen gibt (eben das Verstummen des Lärms), und diese Erfahrung wirkt beruhigend auf mich, gibt mir sogar Hoffnung. Wobei die Hoffnung sehr gedämpft ist. Ob je wieder Leben in mein Leben zurückkehrt, so, wie ich es von früher kenne? Das glaube ich immer weniger. Aber vielleicht zieht der Nebel ab, vielleicht wird es allmählich wärmer, vielleicht kommt sogar die Sonne wieder. Schon das wäre ein unermessliches Glück. Und Menschen? Ich möchte so gerne daran glauben, dass irgendwo auf der Erde noch Menschen leben. Aber wenn es sie denn geben sollte, werde ich je mit ihnen in Kontakt treten können? Einen Menschen zu umarmen, mit ihm zu sprechen, sein Lachen zu sehen, einfach in seiner Nähe zu sein, ist für mich eine so unfassbar schöne Vorstellung, dass ich mir verbieten muss, weiter darüber nachzudenken. Ich werde sonst zu traurig. Ich muss mich der Gegenwart widmen und will auf weitere kleine Verbesserungen der äußeren Umstände hoffen. Zurzeit spüre ich die Kraft dazu. Ich werde weiter meinem gewohnten Leben hier in meiner Wohnung und meinem Haus nachgehen. Die Vorräte reichen noch lange.
    Aber darum geht es nicht. Es geht um meinen Lebensmut. Ich erzwinge nichts mehr. Zwar empfinde ich meine Schuld noch genauso intensiv wie vor Wochen, Monaten, wie vor Jahr und Tag. Ich darf mich jedoch nicht an sie klammern. Ich will mir klarmachen, dass die Weltkatastrophe, in die ich hineingeraten bin, nichts mit meiner individuellen Vergangenheit zu tun hat. Und folglich muss ich nichts mehr aushalten, nichts mehr erdulden.
    Aber ich bin noch bereit zu warten. Vielleicht wird eines Tages der Schnee schmelzen, und ich werde ohne Probleme das Haus verlassen können oder sogar den Mut haben, meiner Stadt ganz den Rücken zu kehren. Vielleicht. Aber ich will mich nicht auf diese Träume fixieren. Ich lasse alles auf mich zukommen. Sollte sich nichts mehr verändern, oder sollte alles wieder schlimmer werden, dann will ich sterben. Und es wäre gut so – obwohl ich große Angst vor dem Tod habe. Ich setze mir jedoch kein Ultimatum.
     
    Heute ist der 1. November.
     
    Alles hat seine Zeit.

22. EINTRAG
    Licht ist Leben. Wie lange kann ein Mensch eigentlich ohne Licht existieren? Ich giere so sehr nach Licht. Die Kälte, der

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