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Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
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nicht ganz verloren hatte, war er mir doch irgendwann weniger unheimlich als zu Anfang. Und so ließ ich eines Tages, nachdem ich mein Zimmer gelüftet hatte, die Vorhänge offen. Deshalb bemerke ich jetzt gerade auch die Veränderung draußen. In den Nebel scheint Bewegung zu kommen.
    Ja! Bewegung!
    Zumindest ein wenig. Wochenlang hat er starr an meiner Scheibe geklebt; so jedenfalls mein Eindruck. Was geschieht?
    Ich werde das Fenster öffnen – und hinausschauen.
     
    Ein paar Minuten später.
    Unfassbar! Tatsächlich! Es ist, als wäre er lebendig geworden, der Nebel. Ich habe gerade mit einer starken Taschenlampe in ihn hineingeleuchtet. Er wabert hin und her. So wie am Anfang, als er aufzog.
     
    Ich sitze jetzt wieder vor dem geschlossenen Fenster. Es wurde mir zu kalt. Die Taschenlampe liegt eingeschaltet draußen auf der Fensterbank. So kann ich das Geschehen besser beobachten. Ich spüre meinen heftigen Herzschlag an meinem Unterhemd. Ich wage es gar nicht, zu hoffen.
    Sind das die ersten Anzeichen für den Abzug des Nebels?
    Es wäre die zweite positive Veränderung der äußeren Umstände, nach dem Verstummen des Lärms. Es wäre spektakulär, so großartig.
    Vielleicht aber bedeutet es auch nichts. Der Nebel bewegt sich halt ein wenig – und wird dennoch bleiben. Vielleicht ist Ähnliches in den letzten Wochen schon mehrfach vorgekommen, und ich habe es wegen der geschlossenen Gardinen nur nicht bemerkt; oder es geschah, während ich schlief.
     
    Eine halbe Stunde später.
    Der Lichtschein meiner Taschenlampe zeigt zunehmende Unruhe dort draußen. Mal treibt der Nebel nach rechts, mal nach links, dann wieder scheint er sich von oben, an meinem Fenster vorbei, nach unten zu bewegen. Im Moment sieht es so aus, als würde er vor der Scheibe kreisen. Es ist gespenstisch. Aber ich habe keine Angst. Nein, ich habe Hoffnung.
     
    Eine weitere halbe Stunde später.
    Es ist definitiv etwas im Gange. Der Nebel treibt jetzt geradezu an meiner Scheibe vorbei, mittlerweile nur noch in eine Richtung. Ich habe vor ein paar Minuten wieder den Kopf hinausgestreckt. Starker Wind war nicht zu spüren, und doch raste der Nebel an meinem Gesicht vorbei: schwarz, eiskalt und geräuschlos.
    Etwa 19 Uhr. Ich bin gerade in der Wohnung herumgerannt und habe laut gesungen, ja gesungen. Einen albernen Schlager aus den fünfziger oder sechziger Jahren: »Marina, Marina, Marina, dein Chic und dein Charme, der gefällt. Marina, Marina, Marina, du bist ja die Schönste der Welt …«
     
    Ich kann wieder etwas von der Welt sehen!
     
    Es gibt die Welt also noch!
    Tatsächlich scheint der Nebel zu verschwinden.
    Ist es wirklich so? Ich kann es kaum glauben. Aber er zieht ab! Keine Frage!
    Zwar wabern immer noch Nebelbänke an meinem Haus vorbei, allerdings werden sie zunehmend durchsichtiger und lückenhafter. Ich kann bereits wieder die Nachbargebäude und auch die Straße unten erkennen. Unglaublich! Nach so vielen Wochen der Beklemmung.
     
    »… dein Chic und dein Charme, der gefällt …«
     
    Woher war der Nebel gekommen? Und wohin zieht er jetzt? War nur meine Stadt betroffen gewesen? Oder ganze Landstriche? Egal!
    Ich stehe jetzt am geöffneten Fenster, mit einem Notizblock, schreibe (was ich gleich in die Maschine tippen werde) und atme die neue Freiheit. Die Temperatur hat sich nicht verändert, minus elf Grad etwa. So viel Schnee überall. Aber es schneit nicht. Ich friere. Egal. Immer weniger Nebel. Dort unten der dick verschneite Hut der Litfaßsäule. Der Himmel ist nachtdunkel – und doch erscheint mir die Stadt hell, fast freundlich. Jetzt sehe ich sogar schon die Türme von St. Aposteln. Gibt es Spuren auf der Straße dort unten? Nein. Egal. Kein Lärm und kaum noch Nebel! Welch eine Lebensbereicherung! Tauchen sogar Sterne auf? Nein. Der Himmel sieht aus wie vor dem Nebel: wolkenverhangen. Egal. Der Nebel löst sich auf. Wirklich! Immer mehr! Und ich habe den Eindruck, er zieht sogar immer schneller ab. Unfassbar! Mein Haus steht wieder ganz frei. In der letzten Zeit hatte ich ja schon daran gezweifelt, ob es die Stadt überhaupt noch gibt. Sie hätte ja auch verschwunden sein können. Jetzt weiß ich, dass alles beim Alten ist. Die schlimme Wirklichkeit, in die ich geraten bin, verändert sich also relativ schnell. Jetzt schon zum zweiten Mal – und das in für mich positiver Weise. Kann ich hoffen? Ja!
    Ich bin so aufgeregt.
    Vielleicht schaffe ich es, das alles hier auszuhalten, es zu überwinden.
     
    Der

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